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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit

Was wollte nur der Pope von ihm? Hatte er, der kleine Schullehrer, dem Vater Nikiphor nicht gesagt, daß er seine religiösen Anschauungen nicht teile, daß er an nichts, durchaus an gar nichts glaube, als an die Atome? Ja, das hatte er ihm klar und deutlich gesagt – er erinnerte sich noch heute daran mit einem gewissen Stolze; dann aber hatte Vater Nikiphor mit einem breiten jovisartigen Lächeln und einer gleichsam wegwischenden Handbewegung gesagt: „So! Also Sie glauben noch an die Atome! Ausgezeichnet, immer besser an die Atome zu glauben, als an das leere Nichts. Jedenfalls glauben Sie dann aber auch, daß man am Montag nicht auf Reisen gehen und am Freitag nichts Neues unternehmen solle". Und da das auf ein Haar stimmte, hatte Stepan Nikolaitsch verlegen geschwiegen. Seitdem war es ihm in Vater Nikiphors Gegenwart nicht recht geheuer. Und dennoch – waren sie Beide mit dem Küster und seiner dicken Frau Matriona Fadejewna und ein paar Postbeamten nicht die einzigen Russen in dem kurländischen Flecken, der von Deutschen, Juden und Letten wimmelte? Sie hatten doch allen Grund, schon als Landsleute zusammenzuhalten. Von Vater Nikophors verstorbener schwindsüchtigen Frau erzählte man sich, daß sie grausam von ihm mißhandelt worden sei, und somit war das Sprichwort: „Sie hat es so gut wie eine Popenfrau“ – diesmal zu Schanden geworden.

Aufgeregt ging Stepan Nikolaitsch vor dem Häuschen auf und nieder. Immer dräuender und dunkler umzog sich der

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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit. S. Schottländers Schlesische Verlagsanstalt, Berlin 1910, Seite 113. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/111&oldid=- (Version vom 1.8.2018)