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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit

das junge Mädchen mit einem halben Lächeln, „auch daß Sie weder Landwirt noch Gutsbesitzer sind.“

„Das stimmt allerdings. Ein müßiger Städter bin ich nicht, doch habe ich auch keinen festen Beruf, wenigstens jetzt nicht,“ verbesserte er sich. „Ich benutze daher meine freie Zeit zu einem Landbesuch bei einem alten Studiengenossen und Jugendfreunde.“

„Und ich,“ sagte die junge Dame, „trete eine neue Stelle als Lehrerin an.“ Sie seufzte.

Teilnehmend blickte er zu ihr hin. „Das klingt bei Ihrer Jugend seltsam.“

„O bitte, ich bin fünfundzwanzig Jahre alt,“ sagte sie einfach, „und an seltsame Wechselfälle bin ich gewöhnt. Dies ist bereits meine dritte Stellung. Das ist ja das Harte in unserm Beruf, daß man nirgends Wurzel fassen kann. Hat man sich einigermaßen in eine Familie eingelebt, so entwachsen die Kinder nur allzubald unsrer Leitung, und dann heißt es, sein Bündel schnüren und dieselbe Arbeit auf neuem Boden von vorn beginnen. Aber dies ist auch das letztemal, daß ich zu einer Familie ziehe,“ fuhr sie energisch fort. „Ich habe nämlich in zwei Jahren die Anwartschaft auf eine feste Anstellung in einem Petersburger Institut, und dort will ich dann bleiben,“ schloß sie befriedigt, nicht ohne einen Anflug von Selbstironie, „bis ich alt und grau werde!“

Er sah sie betroffen an. „Halten Sie denn die Aussicht für so erstrebenswert?“ fragte er. „Das Arbeitsmaterial, die

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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit. S. Schottländers Schlesische Verlagsanstalt, Berlin 1910, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/12&oldid=- (Version vom 1.8.2018)