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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit

„Die Blonde ist die Schwägerin des Veterinärarztes Schulz,“ flüsterte er aufgeregt, – „ein hübsches Mädchen, die andere ist ihre Nichte oder Kusine aus Libau, zum Besuch hier.“

„So, so ... Sie scheinen ja außerordentlich gut Bescheid zu wissen!“ sagte Vater Nikiphor lachend. „Nun, so will ich Ihnen denn auch großmütig überlassen die Schirme wieder abzuliefern.“

Vor der Apotheke stand der Wagen des deutschen Pastors Brenner. „Da sitzt Hochwohlehrwürden, das Herrensöhnchen“ – murmelte der Priester höhnisch – „wart, Brüderchen, wir haben noch eine lange Rechnung miteinander auszugleichen.“

Der Pastor, ein kräftiger Mann mit einem ruhigen, diskreten Gesicht grüßte gemessen, während Vater Nikiphor den Hut schwungvoll zog und seinen deutschen Kollegen mit herausfordernder Miene anstarrte.

„Ich oder Du!“ sagte Vater Nikiphor mit harter höhnischer Stimme. Dann lachte er ein breites zorniges Lachen. „So ists – – Ich oder Du!“

Und in dem Klang seiner Stimme stand das Ich so mächtig, breit und protzend da, daß der Volksschullehrer aus einer Art von betrachtungsvoller Betäubung erwachte und es schien, als trete das „Du“ von vornherein wie ein wesenloser Schatten in den Hintergrund.

„Natürlich!“ murmelte er in seiner Versunkenheit und mühte sich durch den zerschlissenen Regenschirm ein Streifchen des grauen weinenden Himmels zu erspähen, „Natürlich.“

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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit. S. Schottländers Schlesische Verlagsanstalt, Berlin 1910, Seite 122. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/120&oldid=- (Version vom 1.8.2018)