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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit

Freund oder bist Du’s nicht?’ – ,Wozu die Worte?’ sag ich –, ,Du weißt es!’ – – Da setzt er sich auf die Ofenbank, streckt die Beine lang von sich, steckt die Hände in die Rocktaschen und kehrt sie um. ,Ich hab mein Schulgeld verspielt’, sagt er einfach, – ,Alles bis auf die letzte Kopeke. Morgen werd ich aus dem Seminar gejagt, und dann schieß ich mir eine Kugel vor den Kopf!“ – Ich sehe ihn an, er mich, und ich fühle, daß er die Wahrheit spricht. Kalt kriecht es mir über den Rücken. Ohne ein Wort zu sagen, kehre ich mich zur Wand, und beginne einen losen Ziegelstein herauszuheben, – dahinter pflegte ich mein Geld vor meinem Vater zu verstecken. Ich gab damals ein paar kleinen Gymnasiasten Nachhilfestunden, und sparte zu einem neuen Anzug und zu einem neuen Osterkleide für Katiuscha. Ich nehme also das Geld heraus, füge den Ziegelstein ordentlich zurück und drücke es ihm in die Hand. Er springt auf, umarmt mich und sagt: „Stiopka, das vergeß ich Dir nie! –“

Aufmerksam hatte die dicke Frau zugehört. Ihr breites gutmütiges Gesicht mit dem glatt anliegenden Scheitel und den kleinen zusammengekniffenen Äuglein drückte eine Welt von Wohl­wollen und Bewunderung aus.

„Nu, das war aber schön!“ lobte sie. „Hat er es Ihnen wiedergegeben?“

Stephan Nikolaitsch zögerte einen Moment. „Nach einem Jahr – ja,“ sagte er. „Er wurde Sekretär bei einem Ad­vokaten, war ein gescheiter Kopf – und findig. Reden konnte

Empfohlene Zitierweise:
Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit. S. Schottländers Schlesische Verlagsanstalt, Berlin 1910, Seite 129. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/127&oldid=- (Version vom 1.8.2018)