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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit

„Himmlische Gerechtigkeit! Ist das aber schwer!“ seufzte er in komischer Verzweiflung.

Sie lachte lustig und hell. „Es ist gar nicht schwer“, tröstete sie, – „wissen Sie, ich hab einen guten Einfall: ich will Ihnen deutsche Konversationsstunden geben, – und Sie, nun Sie erteilen mir dagegen einen Kursus, nun sagen wir in slavonischer Sprache.“

Des kleinen Mannes blasses Gesicht leuchtete auf. „Wäre das denn möglich?“ fragte er zweifelnd.

„I – warum denn nicht? Über die Vorurteile eines so lumpigen Fleckens setze ich mich natürlich hinweg.“ Sie warf den hübschen Kopf zurück. „Übrigens um Ihnen die Wahrheit zu sagen, ich langweile mich hier zum Sterben bei meinen Verwandten, und leider soll ich noch ein rundes halbes Jahr hierbleiben. Mein Vater, – er ist Provisor in Libau – gedenkt sich nämlich wieder zu verheiraten, und da soll ich dem jungen Familienglück aus dem Wege.“ Ein kleines bitteres Lächeln zuckte um ihre Mundwinkel.

Er hatte nur die erste Hälfte ihrer Rede beachtet. „Nur noch ein halbes Jahr!“ sprach er bedauernd. „Und Sie wollten, wollten mir einsamen Menschen deutschen Unterricht geben, – – mir Ihre Zeit und Ihre Gegenwart schenken? Das ist ein zu großes Glück für mich! Was kann ich Ihnen denn dagegen bieten?“

„Ach, seien Sie doch nicht sentimental! Muß denn durchaus Alles gegeneinander abgewogen und genau bezahlt werden?“ sagte Fräulein Wally großartig. „Wir sind doch keine Krämerseelen, Stepan Nikolaitsch.“

Empfohlene Zitierweise:
Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit. S. Schottländers Schlesische Verlagsanstalt, Berlin 1910, Seite 135. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/133&oldid=- (Version vom 1.8.2018)