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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit

Vorsichtigerweise ging die Frau auf das Thema nicht ein.

„Er ist jetzt viel heiterer und umgänglicher,“ sagte sie – „ist doch auch ein junges Blut und hat viel Schweres erlebt.“

„Schweres erlebt!“ höhnte Vater Nikiphor. – „Wer von uns hat nicht schon Schweres erlebt? War das etwa leicht für mich, meine Frau begraben zu müssen – und als Pope ein einsames Witwerleben weiter zu führen?“

Die Frau schwieg und seufzte. Ihre Teilnahme galt der unglücklichen Verstorbenen, aber das brauchte Vater Nikiphor nicht zu wissen.

„Und so ein grasgrüner Bursch mit seinem Herzchen voll Liebe!“ fuhr der Pope fort. „Kennt er das Leben – wie? Wir stehen jetzt in schweren Zeiten – da braucht man tatkräftige Männer, keine verliebten Schwärmer.“

Matriona Fadejewna wagte einen Widerspruch: „Stepan Nikolaitsch tut doch aber redlich seine Pflicht. In der Schule lieben ihn die Kinder sehr.“

„Ist das möglich?“ spottete der Pope. „Ja, weil er eine geradezu stumpfsinnnige Geduld mit ihnen hat und ihnen lieber drei Mal eine Sache erklärt, als daß er einen von den Rangen abstraft. Ist überhaupt eine charakterlose Persönlichkeit - - wie so eine Wasserpfütze, die alles wiederspiegelt. Ist der Himmel blau, dann glänzt auch die Pfütze in blauer Farbe, – ist er trübe und bewölkt, so treiben auch Wolken über die Wasserpfütze

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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit. S. Schottländers Schlesische Verlagsanstalt, Berlin 1910, Seite 142. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/140&oldid=- (Version vom 1.8.2018)