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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit

bindendes Wort hatte Stepan Nikolaitsch noch nicht zu sprechen gewagt.

So war der Herbst ins Land gezogen. Schwere dräuende Wolken lagerten über den baltischen Provinzen. Wie ein unter dem Boden fortglimmendes Feuer flackerten sorgsam geschürter Deutschenhaß und gewaltsam aufgepeitschte Unzufriedenheit in der bäuerlichen Bevölkerung fort. Dazu gesellte sich eine offenkundige Auflehnung gegen alle bestehende Ordnung. Regierungs­feindliche Proklamationen gingen insgeheim von Hand zu Hand, Hetzreden wurden gehalten, sozialdemokratische Versammlungen mit anarchistischer Färbung fanden in der unteren Volksschicht bereitwillige Aufnahme. Unter dem Deckmantel einer agrarpolitischen Bewegung, die sich gegen die deutschen Besitzer richtete, erhob an allen Enden das Schreckgespenst einer drohenden anar­chistischen Revolution sein lauerndes Haupt. Wilde verdüsterte Mienen, drohende Geberden, schamlose Worte regten sich der loyalen deutschen Bevölkerung gegenüber. Überall im Lande brütete eine gespannte Schwüle, wie vor dem Losbruch eines entsetzlichen Sturmes.

Vater Nikiphors Haltung hatte sich verändert. Immer offener, rücksichtsloser und brutaler trat er mit seinem Deutschenhaß hervor. Unter den Letten war er eine beliebte Persönlichkeit, da er ihrem nationalen Bewußtsein schmeichelte und alle Miß­griffe der Regierung, ja selbst die bekannte Bestechlichkeit der russischen Beamtenschaft den Deutschen zur Last legte. Das

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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit. S. Schottländers Schlesische Verlagsanstalt, Berlin 1910, Seite 145. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/143&oldid=- (Version vom 31.7.2018)