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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit

seinen Vortrag. Stumm vor Bewunderung saßen sie da, dann brach ein stürmischer Applaus los.

„Wally, ich bin einfach starr!“ brach Frau Schulz das Schweigen.

„Pfuh – pfuh – – ausgezeichnet!“ schnaufte der Onkel.

Fräulein Mietze klatschte in die Hände.

„Ich ernenne Dich zu meinem Hof- und Leiblehrmeister, Wally, wenn ich einmal Kaiserin von Russland werde!“ rief sie fröhlich. „Aber ob Du bei Hofe jemals wieder so vortreffliche Schüler hast, dafür kann ich nicht einstehen!“

Alle fanden Mietzes’ Bemerkung sehr witzig und in bester Laune begab sich die Gesellschaft ins Nebenzimmer an den Kaffeetisch.

Mit wichtiger Miene schenkte Frau Schulz den Kaffee ein und bemerkte zu Stepan Nikolaitsch: „Das Rosinenbrot hat Wally selbst gebacken. Nun schmeckt es Ihnen sicher noch einmal so gut – ich selbst, ich kann es leider nicht genießen, meines Magenübels wegen“ fügte sie mit einem entsagungsvollen Seufzer hinzu.

In diesem Augenblick wurde geschellt. Fräulein Mietze sprang an die Tür: „Frau Doktor Treller!“ rief sie.

Erfreut gingen die Damen dem Besuch entgegen.

„Nein, wie reizend, daß Sie uns zum Kaffee besuchen, liebste Frau Doktor“, rief Frau Schulz und vergaß für einen Moment ihr Magenübel und Wallys Rosinenbrot.

Empfohlene Zitierweise:
Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit. S. Schottländers Schlesische Verlagsanstalt, Berlin 1910, Seite 152. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/150&oldid=- (Version vom 1.8.2018)