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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit

dann stand wieder das große eherne Gebot wie mit Flammenschrift ruhig und ernst vor seiner Seele: Du sollst nicht töten!

Er schauderte. Er wollte ja nicht töten, – er dachte ja gar nicht daran, und während er versunken so vor sich hinstarrte, kam ein Pferdegetrappel, sauste ein leichtes elegantes Rollen immer näher und näher. Er schrak auf. Sein Herz tat einen gewaltigen Schlag und versteinert blieb er stehen.

Ein fröhliches klingendes lachen – wie oft hatte er es gehört, - - eine weiche zurückgelehnte Gestalt in Federhut und Pelzrotunde, – ein schlanker bärtiger Mann neben ihr in einer Lodenjoppe, einen spitzen Hut auf dem Kopf – vorbei, weg – vorüber!

Betäubt starrte der Volksschullehrer auf die Rückseite des Wagens, der sich wiegend und pfeilschnell fortbewegte. Jetzt gings über die Brücke, – jetzt, jetzt sah er nur noch die Gestalt des Kutschers und jetzt bogen die milchweißen Schimmel in den Flecken und lauter ertönte das Rollen über das schlechte unregelmäßige Pflaster.

Ein Traum, ein Augenblick nur eines Traumes, aber auch dieser Augenblick war der Mühe, war all des Harrens und Hoffens wert gewesen. Das klingende Lachen, – noch hörte der kleine Mann es deutlich, – und die furchtbare Spannung seiner Nerven löste sich, ein stilles müdes Weh kam leise wie mit sanften Fittigen über ihn. Tief seufzte er auf und trat den Heimweg an.

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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit. S. Schottländers Schlesische Verlagsanstalt, Berlin 1910, Seite 167. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/165&oldid=- (Version vom 31.7.2018)