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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit

Sterne und eine stille friedliche Wehmut füllte des Einsamen Seele. Heute hatte er nicht lange zu warten. Noch ehe er die Brücke überschritten hatte, sah er das ersehnte Gefährt. In langsamem Trabe glitt es hinter der Brücke an ihm vorüber wie ein Schemen.

Aber was er jetzt sah, durchzuckte ihn mit siedender Glut. In den Armen des Mannes mit dem spitzen Hut lag das Mädchen – in seliger Hingebung – und an sein geschärftes Ohr schlug ein leises, kaum vernehmliches jubelndes Schluchzen.

So war er also verraten! Und Wally, seine Wally gab sich einem verheirateten Manne hin!

Stumpf, mit dem Ausdruck eines Irrsinnigen starrte er dem Schlitten nach. Vom klaren Himmel nieder funkelten matte traurige Sterne und blinzelten, – er aber sah sie nicht, er­ fühlte nur das eine: Er mußte sie, die er liebte, vor Schande und Schmach bewahren. Mochte sie ihn immer verraten, – was lag daran? Aber um ihrer selbstwillen mußte sie rein und unbescholten bleiben!

Ein dumpfes heiseres Stöhnen entrang sich seiner trockenen Kehle – wild griff er um sich in die leere Luft und schwer fiel er nieder, besinnungslos in den kalten steifgefrorenen Schnee.

Er hatte eine Weile gelegen, da rüttelte ihn ein schwacher Arm und eine Kinderstimme rief flehend: „Stepan Nikolaitsch, lieber Stepan Nikolaitsch, bitte, so stehen Sie doch auf!“

Es war Krisch! Sein Vater hatte ihn in den Flecken nach

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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit. S. Schottländers Schlesische Verlagsanstalt, Berlin 1910, Seite 171. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/169&oldid=- (Version vom 1.8.2018)