Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/200

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit

Baron, der Pastor und der Zehsewirt zusammengenommen. Bei dem arbeiteten ihre Eltern um Tagelohn.

Darthe war nun ein schönes kräftiges Mädchen und stand im dreizehnten Jahre. Nicht mehr wie einst lief sie ungekämmt einher. In zwei dicken schweren Flechten trug sie das dunkle Haar wie eine Krone über dem Haupt. Trotzig und horchend blickten die braunen Augen unter der bräunlichen Stirn hervor, – sie schienen immer etwas zu suchen, nach innen hinein. Und sie suchten auch etwas, ohne daß sie es wußten. Die alte Großmutter, eine lebensmüde Welle, war vom Zeitenstrom dahingeflutet, und Darthe hatte nun niemanden mehr, der ihr Geschichten erzählen konnte, der sie schalt und dennoch lieb hatte. Ihr Tod hatte im Hause der Knechtsleute eine trübe Leere hinterlassen, und Darthe schien es oft in dunklen Herbstnächten, als höre sie die Stimme der Großmutter rufen. Jetzt brauchte sie nicht mehr widerstrebend ein Kleines zu warten, denn Jahnit war nun schon fünf Jahre alt und folgte ihr auf den eigenen stämmigen Beinchen wie ein Schoßhund, und jüngere Geschwister waren nicht gekommen. Jahnit war aber auch der ganze Stolz der Knechtsleute; um Darthe kümmerte sich die eigene Mutter nicht sonderlich. Sie war ja nur ein Mädchen. So war der Fluß erst recht ihr liebster Gefährte geworden. Immer und immer flüchtete sie zu ihm hin. Bald saß sie mit sinnenden Augen, starrte in die strömende Flut und ließ das kühle Wasser durch ihre Finger rinnen, bald kauerte sie mit gebeugtem

Empfohlene Zitierweise:
Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit. S. Schottländers Schlesische Verlagsanstalt, Berlin 1910, Seite 204. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/200&oldid=- (Version vom 1.8.2018)