Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit | |
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Sie streckte die Füße aus und versuchte die gefangenen Zehen zu bewegen. Aber neue derbe Bauernschuhe sind stärker als menschlicher Wille, die Zehen konnten sich nicht rühren, Darthe seufzte wieder, und auf ihrem hübschen braunen Gesichtchen malte sich ein bitterliches Entsagen. Die braunen Hände hielt sie nachdenklich über dem Leib gefaltet. Wehmütig und würdevoll ließ sie sich von der lieben Sonntagssonne bescheinen. „Ach, wenn es doch schon Montag wäre!“ seufzte sie laut. Und plötzlich, einem tapferen Entschluß folgend, beugte sie sich nieder und löste die Schuhbänder. Rechts und links flogen die ledernen Quälgeister ins grüne Gras, rechts und links die groben Strümpfe – die alte fröhliche Darthe stand mit nackten Füßen im Uferschlamm und ließ sich das laue Wasser um die gequälten Zehen plätschern. Nun rauschte der Fluß lauter, die Sonne schien goldiger, die Vögel sangen heller, und Darthes Augen blitzten in Kinderwonne und Übermut.
Sie beugte den Kopf und lauschte – hörte sie nicht Stimmen?
Ja – dort hinter der Flußkrümmung tauchte ein weißes Boot hervor. Leise glitt es mit der Strömung dahin, erfüllt von fröhlichem Gelächter.
Ein schönes Fräulein im weißen Sommerkleide stand lachend im schwanken Gefährt und breitete die Arme aus. Am Steuer stand Willy, der Pastorssohn, er war breit und stämmig geworden. Der junge Baron Wolf und Grendsche-Jehkab, beide hochaufgeschossene
Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit. S. Schottländers Schlesische Verlagsanstalt, Berlin 1910, Seite 206. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/202&oldid=- (Version vom 31.7.2018)