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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit

schiefen abgetretenen Nase funkelten zwei tückische triumphierende Äuglein.

Darthe hielt es nicht länger, wie der Wind flog sie unter den Haufen.

„Was wollen die Deutschen da?“ fragte sie kurz.

Ein verworrenes Geschrei antwortete ihr.

„Leichen ausgraben! Tote schänden! Schätze suchen!“

Das Mädchen stand versteinert. „Unsinn!“ rief sie. „Die Wiese ist doch kein Friedhof.“

„Es soll einmal vor vielen hundert Jahren eine Schlacht hier gegeben haben, – und die gelehrten deutschen Professoren, die immer alles wissen, behaupten, hier wär’ der Ort,“ belehrte sie der Dumpje-Wirt mit hämischem Lachen. „Nu, wollen sehen, ob die deutschen Nasen recht haben.“

„Und was wollen sie von den Toten?“

„Schmucksachen sollen die Leichen haben, goldene Spangen und Ringe – – haben die Deutschen nicht je und je ihre Finger ausgestreckt, wo es was zu holen gab?“

„Aber der Pastor wird das nicht zulassen!“

„Hoho!“ brüllte der Dumpje-Wirt, „das alte Mannchen! Siehst du nicht, wie er vergnügt dabei steht? Ja, unsereins, freilich, – das kann wieder einmal zusehen! Bei uns wär’s gleich „Leichenschändung,“ – bei den Deutschen aber, den verfluchten Besserwissern, heißt’s: Wissenschaftliche Ausgrabungen. Ja, ein Deckmäntelchen läßt sich ja für alles finden!“

Empfohlene Zitierweise:
Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit. S. Schottländers Schlesische Verlagsanstalt, Berlin 1910, Seite 220. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/216&oldid=- (Version vom 1.8.2018)