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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit

„Ach herrje!“ echauffierte sich die Dame immer mehr. „Wir haben hierzulande so nette, liebenswürdige Mädchen – die wären selig, einen solchen Mann bekommen zu haben. Da sind zum Beispiel gleich die Freundinnen meiner Tochter – reizende Mädchen, sage ich ihnen, und so gescheit.“

„Ihrem Fräulein Tochter fehlt’s doch auch gewiß nicht an Gaben –“ bemerkte Ernst Philippi lächelnd.

Die Dame stutzte. „Wieso denn? Kennen Sie Eveline?“

„Ich habe nicht die Ehre, Fräulein Eveline zu kennen,“ sagte Ernst Philippi mit seinem verbindlichsten Lächeln, „aber es ist eigentlich selten, daß eine Mutter die Vorzüge der Freundinnen ihres Fräulein Tochter hervorhebt und diese selbst unerwähnt läßt.“

Die dicke Dame wurde rot. Sie wußte nicht recht, sollte sie diese Worte übelnehmen oder sich geschmeichelt fühlen? Sie entschloß sich zu dem letzteren. „Ja, meine Tochter ist ein tüchtiges Mädchen,“ sagte sie mit zufriedener Behäbigkeit, „und so häuslich. Freilich,“ fuhr sie giftig fort, „ein Schöngeist wie die Frau Pastorin Berger ist sie nicht, die malt ja und soll sogar schriftstellern! Weiß der liebe Himmel, wo sie dazu die Zeit her­nimmt – wenn man seinem Mann zwei Kinder als einzige Mitgift in die Ehe gebracht hat ... Na, vom Wirtschaften hält die ja wohl überhaupt nicht viel.“

„Wenn der Pastor nur zufrieden ist, das ist doch für meine Cousine die Hauptsache.“

Empfohlene Zitierweise:
Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit. S. Schottländers Schlesische Verlagsanstalt, Berlin 1910, Seite 26. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/26&oldid=- (Version vom 1.8.2018)