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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit

schritt hastig die Landstraße entlang. Sie ging nicht den Weg, den sie gekommen war. Wieder trat ihr die lichte Gestalt der Baroneß vor die Seele. War die etwa hochmütig! Gott schütze dich! waren ihre Abschiedsworte gewesen, – und ich schenke dir mein Herz, willst du es nehmen, Darthing! Umarmt hatte sie sie wie eine Schwester, gedankt hatte sie ihr und geweint wie ein Kind. Und ihr wollten die lettischen Genossen das Haus über dem Kopf anzünden? War das nicht bitteres Unrecht? Ihr, die niemandem Böses getan hatte, die allen Leuten wohltat und half, wo sie konnte! Warum? Weil sie eine Baroneß war. Besser eine Baroneß als eine Wirtstochter wie Linda Zehse. Ja, es war bitteres Unrecht, die Volksgenossen taten Böses, und aus Bösem konnte nichts Gutes kommen.

Der sonnige Herbsttag fiel ihr wieder ein, da drüben auf der Wiese des Dumpje-Wirts die Ausgrabungen vorgenommen wurden. ,In diesen Gräbern’, hatte das gnädige Fräulein gesagt, ,sollen einige des Volkes ruhen, die vor euch Herren im Lande waren. Alle werden wir einst in Grabern ruhen.’ Ja, so war’s. Die alten Völker, die hier geherrscht hatten, waren hinweggestorben wie Gras – andere Völker waren gekommen und auch sie würden vergehen. Die Zeit mähte sie alle hinweg wie mit einer Sense. Und alle, alle würden sie endlich in Gräbern ruhen. Lohnte es sich da einander zu befehden und zu hassen?

Unwillkürlich hatte sie ihre Schritte nach der Wiese hinübergelenkt. Da stand sie vor der halbverschütteten Grube des

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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit. S. Schottländers Schlesische Verlagsanstalt, Berlin 1910, Seite 267. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/263&oldid=- (Version vom 31.7.2018)