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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit

Gotengrabes und blickte hinein: Alle Zorn- und Rachegedanken waren verflogen. Eine müde Traurigkeit war über sie gekommen.

Langsam schlich sie hinunter zum Fluß. Er glitt rauschend und ruhelos an ihr vorüber, und mechanisch, wie von einer geheimnisvollen Macht gezogen, wanderte sie ihm nach, stromabwärts.

Dichtes Weidengestrüpp hemmte ihren Weg. Das Ufer wurde steil und abschüssig. Verloren blickte sie um sich, sie fühlte sich müde und zerschlagen.

Da lag ein großer Feldstein. Sie hatte als Kind manchmal hier gespielt und hatte Kuchen aus Lehm darauf geformt. Jetzt setzte sie sich auf ihn, stützte die Ellbogen auf die Knie und starrte in die schwärzliche Flut. Grau in grau lag das jenseitige Ufer mit seinen dunstigen Waldfernen. Es dämmerte. Mit einem Male fuhr sie auf. Ein gräßlicher Schrei, laut und gellend, bohrte sich durch die Stille. Sie hörte etwas aufklatschen, als habe einer einen Block ins Wasser gewälzt. Ein ächzend gurgelnder Laut – hastig eilende Schritte – dann nichts mehr.

Zitternd stand sie still. Hier war etwas Furchtbares geschehen. Sie bog vorsichtig das Weidengestrüpp auseinander – nichts. Hastig klomm sie die steile Böschung hinauf und spähte in den Fluß – – da sah sie etwas Dunkles dahin treiben – re­gungslos – tot. Es war ein Mensch!

Ein Schauer überlief sie. Sie hastete den Flußrand entlang 

Empfohlene Zitierweise:
Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit. S. Schottländers Schlesische Verlagsanstalt, Berlin 1910, Seite 268. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/264&oldid=- (Version vom 1.8.2018)