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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit

Vorsichtig gleitend schritt sie weiter, – das Eis hielt – sie war über die Mitte des Flusses hinausgekommen.

Plötzlich aber gab es einen Krach. Eckige Strahlen zeichneten sich blitzartig auf der dünnen Eisschicht.

Sie tat noch zwei Schritte. Da barst das Eis auseinander. Sie stürzte in den Strom. Schwarz und lüstern kam das Wasser aus der Tiefe gekrochen. Gurgelnd schlug es über ihr zusammen.

Sie sank und sank, ohne ein Glied zu rühren. Das schwere Wollentuch, die Kleider sogen sich voll von dem eiskalten Wasser. In ihren Ohren brauste der Sturm. Aber über den Sturm hinaus tönte die freundliche Stimme der Großmutter. „Lauf nicht immer an den Fluß, Kind, sonst läuft er einmal nach dir und holt dich. Sie aber lag im tiefen Sande und sonnte sich ... Und der Herrgott kam des Wegs und fragte so recht freundlich: „Was tust du denn hier in der Sonne, liebes Buttchen?“ ... und der Herrgott hatte strahlendes goldrotes Haar und trug die Züge der Baroneß Marga, und um sein Haupt wehte ein lichter goldener Heiligenschein ...

„Ich will dir mein Herz schenken, liebes Darthing – – willst Du es nehmen? ...“

Dann hörte sie nichts mehr.

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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit. S. Schottländers Schlesische Verlagsanstalt, Berlin 1910, Seite 280. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/276&oldid=- (Version vom 1.8.2018)