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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit

Durch die ernste Freundlichkeit dieser Worte getroffen, sagte Claire ehrlich: „Ich danke Ihnen von ganzem Herzen, Frau Pastorin, Sie sind sehr gütig zu mir.“

Ihr seelenvoller Ausdruck war beredter als ihre Worte. Als die Tür sich hinter der Pastorin schloß, fiel Claire erschöpft auf einen Stuhl und stützte ihren Kopf gedankenvoll in die Hand. Wie unendlich viel hatte ihr dieser eine reiche Tag gebracht! Ein ganzes Leben, Hoffen, Fürchten, Lieben, und Vertrauen lag von diesem Tag umschlossen, und fern, unendlich fern dünkte ihr die Vergangenheit! – –

Der folgende Tag war ein Sonnabend.

Am frühen Morgen bereits saß der Pastor in seiner Arbeitsstube und nahm Meldungen zur bevorstehenden Abendmahlsfeier entgegen.

Das Wartezimmer nebenan war voll besetzt; alle paar Minuten öffnete sich die Tür und ließ einen Bauer herein. Dem Scharfblick des Pastors war es nicht entgangen, daß die Haltung der Leute reservierter war als noch vor vierzehn Tagen. Eine gewisse lauernde Gespanntheit lag in den harten Zügen und zuckte um die Mundwinkel. Für jeden von ihnen hatte Robert Berger ein gutes Wort, manchmal auch einen freundlichen Scherz, und es erfüllte ihn mit Genugtuung, daß die Kraft seiner Persönlichkeit auch diesmal ihre Wirkung nicht verfehlte. Düstere, sorgenharte Gesichter klärten sich auf, und mit offeneren Mienen schoben die Leute zu zweien und dreien an seinem Fenster vorüber.

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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit. S. Schottländers Schlesische Verlagsanstalt, Berlin 1910, Seite 48. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/48&oldid=- (Version vom 31.7.2018)