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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit

an den Apfel- und Birnbäumen. Vereinzelt hing noch hier und da ein rotbäckiger Apfel in den Zweigen. Leuchtend vergoldete die Herbstsonne das gelbe Laub in einer mächtigen Roßkastanie, ihre gewaltigen Äste wie Riesenarme ausbreitete und mahnend auf die kleine Dorfkirche hinzuweisen schien. Vierhundert Schritt weit stand sie neben dem Kruge auf einer Anhöhe.

Der Pastor sah über den Zaun hinüber. „Mein Kirchlein!“ sagte er leise.

Ernst Philippi schien mit einem Entschluß zu ringen. „Du,“ sagte er mit halbem Lächeln, „ich knüpfe an die Worte deiner verehrten Gemahlin an und will dir als meinem Freunde und Seelsorger einen faulen Fleck in mir zum Behandeln preisgeben.“

Überrascht sah der Pastor auf. „Los, alter Junge!“ sagte er und zündete sich gemächlich eine Zigarre an.

„Ich will umsatteln!“

„Das hab’ ich erwartet,“ sagte der Pastor.

„Das ist aber nur die eine Hälfte meiner Beichte, die Begründung meiner Absicht liegt darin, daß ich ohne innern Beruf zum Studium der Theologie gezwungen wurde und die Kanzel nicht mißbrauchen mag.“

„Vollkommen richtig.“ Der Pastor nickte. „Was willst du nun aber werden?“

„Ich will Schauspieler werden; ich kann wahrscheinlich aber nur Rezitator werden, und ich werde vielleicht Bankbeamter werden müssen.“

Empfohlene Zitierweise:
Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit. S. Schottländers Schlesische Verlagsanstalt, Berlin 1910, Seite 51. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/51&oldid=- (Version vom 1.8.2018)