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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit

Fort flogen Bücher und Hefte. „Ach ja, Mammi, einen Schneemann! Einen Schneemann!“ jauchzten die kleinen Mädchen und hängten sich liebkosend an die Mutter.

Ernst Philippi stand gestiefelt und gespornt im Flur. „Gehen wir?“ fragte er. Seine Augen leuchteten.

Claire lächelte. „Wohin Sie wollen,“ sprach sie fröhlich. Bald war sie bereit, und sie traten ins Freie.

„Da muß ich aber gleich zu Anfang protestieren!“ sagte er.

„Wie? Auch das noch? Ich richte mich vollends nach Ihren Wünschen: Sie können mich führen, wohin Sie wollen – und Sie protestieren! Das nenne ich undankbar!“

„Claire!“ bat er weich. „Hier unter diesen vortrefflichen Menschen, die um unser Verhältnis wissen, die uns ein so zartes Verständnis entgegenbringen – hier ist es nicht mehr angebracht, daß wir ‚Sie‘ zueinander sagen und uns so maßlos vernünftig gegenüberstehen. Du hast mich noch nie bei meinem Namen genannt, hast das Dusagen immer ängstlich vermieden. Wozu nur?“

„Ernst,“ sagte Claire, so recht aus Herzensgrund, „ich bin glücklich, glücklich, glücklich – hörst du, so aus dem vollen heraus, so wie ich es nie für möglich gehalten habe! Bilde dir nur nicht ein, daß du etwas dazu beiträgst!“ spottete sie. „Ich liebe diese Menschen so sehr, unter denen ich lebe, und ich weiß nicht, wen ich mehr verehre, Pastor Berger oder seine Frau.“

„Nun ich hoffe durchaus, die Frau Pastorin,“ sagte er in drolliger Eifersucht.

Empfohlene Zitierweise:
Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit. S. Schottländers Schlesische Verlagsanstalt, Berlin 1910, Seite 59. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/59&oldid=- (Version vom 1.8.2018)