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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit

den klugen grauen Augen forschend an. „Gnädiger Herr Pastor,“ begann er langsam, „als Sie hierher nach Kronenthal berufen wurden, da wählten Sie die Gutsherren, wir Bauern hatten bei Ihrer Wahl nichts mitzureden. Ist es so oder spreche ich die Unwahrheit?“

„Ihr sagt die lauterste Wahrheit, Krimpe.“

„Gut.“ Der Alte räusperte sich. „Sie sind nun hier seit zehn Jahren im Amt. Wir haben niemals – schauen Sie meine weißen Haare an, Herr Pastor – niemals einen Prediger gehabt, wie Sie einer sind. Wir Bauern sind mißtrauische Leute, Herr, wir sind mit unserm Urteil nicht heidi und holla fertig wie die vornehmen Herren. Wie wir gewohnt sind, den Kopeken dreimal umzudrehen, ehe wir ihn ausgeben, also sind wir auch vorsichtig mit unserem Urteil.“

„Worauf soll das hinaus, Krimpe?“ fragte der Pastor lächelnd.

„Nur noch ein wenig Geduld. Es hat drei Jahre gedauert, gnädiger Herr Pastor, ehe ich ihnen über den Weg getraut habe. Wem aber der alte Krimpe einmal traut, dem traut er, da nützt kein Rütteln. Ich sehe mit meinen eignen alten Augen und nicht durch fremder Leute Brillen. Nach drei Jahren, da stand es bei mir fest: für den Pastor Berger sind lettische Bauern gleichwertige Menschen wie deutsche Herren, wenn sie nur ordent­liche Menschen sind. Hab’ ich recht gesehen oder nicht?“

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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit. S. Schottländers Schlesische Verlagsanstalt, Berlin 1910, Seite 63. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/63&oldid=- (Version vom 1.8.2018)