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Pariser Börse und nahm seine Parade mit Zylinder und Regenschirm ab.

Aus diesem Mißervhältnis heraus drängte es in der französischen Armee ununterbrochen nach der Betätigung, nach der Gloire, nach der Revanche, nach dem Krieg, nach dem Rhein, à Berlin! Diese Armee aber ist ein Volksheer. Auch ihre Offiziere gehen zum Teil aus allen Schichten des Volkes hervor. So sickerte der Geist des Heers auch in den des Bürgertums über, durchdrang ihn, verschmolz mit ihm, und wir begreifen nun den scheinbar unlöslichen Widerspruch im gallischen Charakter, daß der Franzose gleichzeitig Spießbürger und Raufbold ist und sich im Handumdrehen aus dem einen in den andern verwandelt, daß er am liebsten bei sich daheim bleibt und doch zugleich Europa erobern möchte, daß er vor dem Geldsack kniet, aber auch vor jeder Regimentsfahne im Frieden schon ehrfurchtsvoll das Haupt entblößt.

Diese Erkenntnis der französischen Doppelnatur ist für uns Deutsche auch für spätere Zeiten von höchster Wichtigkeit. Denn es wird auch in Zukunft bei uns nicht an Leuten fehlen, die uns in gutem Glauben versichern, daß der Franzose in seiner großen Masse ein harmloser Philister sei und nur eine Handvoll Säbelraßler Böses gegen uns sinne. Nein, diese Säbelraßler rufen nur die Rauf- und Raubinstinkte wach, die in dem ganzen französischen Volke schlummern und dann jählings, wie in einem Tobsuchtsanfall in einer Gummizelle. emporschlagen. Ganz Frankreich, bis zum Pfahlbürger, der im Kaffeehaus der Kleinstadt nachmittags seine Partie Domino spielt, bleibt ein Pulverfaß, das nur des Funkens harrt. Dieser Funke ist stets die Hoffnung, durch die Gunst der Umstände Deutschland besiegen zu können. Diesen Hoffnungsfunken in Frankreich für ewige Zeiten zu vernichten und damit das Pulverfaß an der Grenze unschädlich zu machen, ist eine Hauptaufgabe dieses Krieges der Kriege, den wir jetzt siegreich durchkämpfen.

Eine Name steht auf dieses Pulverfaß gemalt. Er heißt Paris. Damit kommen wir zu dem zweiten inneren Widerspruch Frankreichs, der es für seinen Nachbar so gefährlich macht. Es ist ein Land und doch zugleich nur eine einzige Stadt, und die Geschicke von 38 Millionen Bewohnern dieses Landes sind blindlings von dem abhängig, was die ewig schwankende, ewig sturmbewegte Welle von 2 Millionen in der Stadt, unter dem Einfluß ehrgeiziger, über Nacht emporgekommener Abenteurer[1] will und hofft und verlangt und braucht. Bezeichnenderweise nennt der Franzose diese Eroberer von Paris „les arrives“, die glücklich Angekommenen, so wie etwa den aus dunkler Tiefe emporgestiegenen Aristide Briand. Es will heißen, daß diese Leute aus dem


  1. Vorlage: Abenturer
Empfohlene Zitierweise:
Rudolph Stratz: Frankreich (Vortrag von Rudolph Stratz). Kriegs-Presse-Amt, Berlin 1917, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Frankreich.pdf/12&oldid=- (Version vom 11.12.2022)