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haben. Ohne die Leuchte der Bewußtseinsqualität wären wir im Dunkel der Tiefenpsychologie verloren; aber wir dürfen versuchen, uns neu zu orientieren.

Was man bewußt heißen soll, brauchen wir nicht zu erörtern, es ist jedem Zweifel entzogen. Die älteste und beste Bedeutung des Wortes „unbewußt“ ist die deskriptive; wir nennen unbewußt einen psychischen Vorgang, dessen Existenz wir annehmen müssen, etwa weil wir ihn aus seinen Wirkungen erschließen, von dem wir aber nichts wissen. Wir haben dann zu ihm dieselbe Beziehung wie zu einem psychischen Vorgang bei einem anderen Menschen, nur daß er eben einer unserer eigenen ist. Wenn wir noch korrekter sein wollen, werden wir den Satz dahin modifizieren, daß wir einen Vorgang unbewußt heißen, wenn wir annehmen müssen, er sei derzeit aktiviert, obwohl wir derzeit nichts von ihm wissen. Diese Einschränkung läßt uns daran denken, daß die meisten bewußten Vorgänge nur kurze Zeit bewußt sind; sehr bald werden sie latent, können aber leicht wiederum bewußt werden. Wir könnten auch sagen, sie seien unbewußt geworden, wenn es überhaupt sicher wäre, daß sie im Zustand der Latenz noch etwas Psychisches sind. Soweit hätten wir nichts Neues erfahren, auch nicht das Recht erworben, den Begriff eines Unbewußten in die Psychologie einzuführen. Dann kommt aber die neue Erfahrung, die wir schon an den Fehlleistungen machen können. Wir sehen uns z. B. zur Erklärung eines Versprechens genötigt anzunehmen, daß sich bei dem Betreffenden eine bestimmte Redeabsicht gebildet hatte. Wir erraten sie mit Sicherheit aus der vorgefallenen Störung

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Sigmund Freud: Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Wien 1933, Seite 99. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Freud_Neue_Folge_der_Vorlesungen_zur_Einfuehrung_in_die_Psychoanalyse_1933.pdf/99&oldid=- (Version vom 21.5.2018)