Seite:Friedlaender-Der Knabenmord in Xanten (1892).djvu/144

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Es kommt aber noch hinzu, daß den Juden der Blutgenuß überhaupt verboten ist. In dem auch jedem Christen zugänglichen alten Testament ist zu lesen: „Ihr sollt kein Blut essen, wer Blut ißt, der soll ausgerottet werden aus meinem Volke, ich werde mein Antlitz von ihm abwenden“. Es ist charakteristisch, daß in China und Madagaskar von der dortigen Bevölkerung dieselbe Anschuldigung gegen die Christen erhoben wird und als Ursache der Christenverfolgung dient. Und ehe das Christenthum seinen Siegeslauf antrat, noch ehe es die herrschende Religion war, da haben die Römer den Christen dasselbe Märchen angedichtet, und zahllose Christen wurden deshalb verfolgt. Der Aberglaube, daß die Juden Blut brauchen, ist bei uns im 13. Jahrhundert aufgetaucht. Damals genoß aber der unglückliche Angeklagte noch nicht den Schutz, den er heute hat. Da trat die größte Macht der damaligen Zeit, der Papst, auf, um diese Märchen zu widerlegen und die Juden vor Verfolgungen zu schützen.

Ich könnte Ihnen zahlreiche päpstliche Bullen vorlegen, in denen dieser Volksaberglaube mit der größten Entschiedenheit bekämpft wird. In den Jahren 1247 und 1253 hat Innocenz IV. sich mit sehr heftigen Worten gegen den Volksaberglauben gewendet. Ich will Sie mit dem Verlesen der Bullen nicht behelligen, es würde dies schließlich stundenlang aufhalten. Allein seit dem 13. Jahrhundert ist das Märchen nicht mehr aus der Welt verschwunden. Es ist immer wieder aufgetaucht und hat zu Judenverfolgungen Veranlassung gegeben. Wiederholt haben sich Gelehrte damit beschäftigt und Gutachten abgegeben. Sie haben von dem als Sachverständigen hier erschienenen Professor Dr. Nöldecke gehört, daß im Jahre 1714 die theologische Fakultät der Universität zu Leipzig auf Veranlassung des Landesherrn ein Gutachten dahin abgegeben hat, daß der Ritualmord in den religiösen Satzungen der Juden nicht vorgeschrieben sei, und daß keine Anhaltspunkte für diesen Volksaberglauben in der jüdischen Literatur vorhanden seien. In dem im Jahre 1883[WS 1] vor dem Wiener Landgericht geführten Prozesse des bekannten Professors Rohling wider den österreichischen Abgeordneten Bloch traten Professor Dr. Nöldecke und Lizentiat Wünsche als Sachverständige auf. Beide Sachverständige gaben dasselbe Gutachten ab. Sie haben gehört, daß Herr Professor Dr. Nöldecke sagte: „Ebenso bestimmt, wie ich behaupten kann, im Talmud steht nichts von dem Eisenbahnwesen,

Anmerkungen (Wikisource)

  1. vgl. Anmerkung auf Seite 27