Seite:Friedlaender-Interessante Kriminal-Prozesse-Band 1 (1910).djvu/222

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einen Trauerflor um den Arm. Frau Rothe muß wohl den Trauring gesehen haben, denn sie sagte plötzlich: sie sehe eine weibliche Person. Als die Sitzung begann, in der Frau Rothe entlarvt wurde, fiel es mir auf, daß Frau Rothe einen auffallend dicken Leib hatte und sich recht vorsichtig niedersetzte. Ich sagte mir: Heute muß sie eine gehörige Portion Blumen bei sich haben. – Fräulein Binswanger, die im Auftrage der Kriminalkommissare die Angeklagte untersuchte, bekundete: Als die Angeklagte festgehalten wurde, rief sie aus: „Faßt mich nicht an, laßt mich los, ich bin im Trance, es kann mein Tod sein.“ Die Angeklagte habe sich wie eine Wahnsinnige gewehrt; es habe wohl ein 20 Minuten währender Kampf mit ihr stattgefunden, bevor sie überwältigt war und ihres Oberkleides entledigt werden konnte. Die Angeklagte habe die Blumen durch den Schlitz ihres Kleides hervorgeholt. – Eine Frau Öhmichen bekundete als Zeugin: Die Angeklagte habe sie mit dem Geist ihres verstorbenen Ehemannes in Verbindung gebracht. Er habe ihr einen kleinen Tannenzweig überreicht. Sie sei überzeugt, daß der Zweig von ihrem Gatten war, denn Frau Rothe habe unmöglich wissen können, daß sie ihren Ehemann um einen Tannenzweig gebeten hatte. Ihr Ehemann habe ihr das auch bestätigt, als sie mit seinem Geiste in Verbindung trat. Er habe ihr auf ihre Frage geantwortet: „Die Naturgeister haben dir den Zweig gebracht, er ist von mir.“ – Es erschienen darauf drei Blumenhändlerinnen, die auf dem Winterfeldplatz ihren Verkaufsstand hatten, als Zeuginnen. Die Angeklagte habe auch im Winter täglich Blumen und Tannenzweige gekauft. Sie war eine sehr gute Kundin. Sie habe einmal auf eine an sie gestellte Frage gesagt: Sie gebrauche die Blumen zur Grabesausschmückung. – Eine Frau Urban bekundete als Zeugin: Sie sei Spiritistin und bisweilen hellsehend. Frau Rothe habe Blumen mit sehr zarten Stielen aus der Luft gegriffen, ferner Zweige mit sehr dünnen Stielen, Apfelsinen usw. Ihr (der Zeugin) Sohn, der schon seit