Seite:Friedlaender-Interessante Kriminal-Prozesse-Band 1 (1910).djvu/223

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seinem vierten Lebensjahre hellsehend sei, habe immer vorher angekündigt, wenn sich etwas entwickelte. Frau Rothe griff alsdann einfach in die Luft und hatte eine Blume in der Hand. Sie (Zeugin) sei auch bisweilen hellsehend, sie könne aber keine Blumen aus der Luft greifen. – Vors.: Welche Farben hatten denn die Blumen? Zeugin: Es waren weiße Rosen mit langen zarten Stielen, die unbedingt zerbrechen mußten, wenn man sie verbergen wollte. Frau Rothe gab mir einmal eine Blume in die Hand, und während ich diese meiner Nachbarin zeigte, wuchsen plötzlich noch zwei blaue Blümchen heraus. (Gelächter im Zuhörerraum.) Zeugin (zum Publikum): Sie brauchen darüber gar nicht zu lachen, es ist ganz gewiß wahr. Sachverständiger, Oberarzt Dr. Henneberg: Sind Sie überzeugt, daß bei Frau Rothe ein echter Trancezustand herrschte? Zeugin: Ganz gewiß. Frau Rothe könnte ohne Trance solch wunderbare Reden gar nicht halten, so großartig kann kein Pastor reden. – Gerichtsarzt Professor Dr. Puppe bekundete als Sachverständiger: Die Angeklagte sei eine hysterische Person. Es sei ihm (Sachv.) überraschend schnell gelungen, die Angeklagte zu hypnotisieren, er sei aber im Zweifel gewesen, ob es eine echte Hypnose war. Bei einer mit der Angeklagten abgehaltenen Sitzung habe sie auch Predigten gehalten, die sehr komisch wirkten. Sie sprach gewissermaßen vom hohen Kothurn herab aber im sächsischen Dialekt und mit allen möglichen Sprachfehlern. Es sei ihm vollständig klar gewesen, daß es ein Opus der Frau Rothe und nicht eines höheren Geistes war. Auf Befragen des Vert. R.-A. Dr. Thiele bemerkte der Sachverständige: Die Angeklagte sei nicht geisteskrank und sei sich höchstwahrscheinlich auch im Trancezustande ihres Handelns bewußt gewesen. Jedenfalls seien doch die Vorbereitungen zu den Sitzungen nicht im Trancezustande geschehen. – Im weiteren Verlauf der Verhandlung wurde mitgeteilt, daß an den Sitzungen in der Wohnung der Frau Rothe teilgenommen haben: Fürstin Karatschka, eine Gräfin