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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 1

Das Polentum sei erbittert, weil auf seine Anregung hier manch häßliches Bild aus dem polnischen Adelsleben enthüllt worden sei. Deshalb stehe das ganze Polentum, hoch und niedrig, gegen den Grafen Hektor, deshalb sei man bestrebt, die fünf polnischen Angeklagten den deutschen Richtern zu entreißen. Er glaube, an der Hand untrüglicher Tatsachen nachgewiesen zu haben, daß die Gräfin das Kind untergeschoben habe, daß dies aus gewinnsüchtiger Absicht geschehen, sei ganz zweifellos. –

Verteidiger Justizrat Wronker führte aus: Die öffentliche Meinung, wie sie ja auch in der Presse zum Ausdruck kommt, stellt sich auf den Standpunkt, es sei hier ein Kampf ums Majorat. Diese Auffassung entspricht nicht der Auffassung der Gräfin Wensierska-Kwilecka. Sie kämpft nicht um das Majorat, sondern sie kämpft um ihr Kind und ihre Familie, die sich um sie geschart hat, sie kämpft um ihre Ehre, und wir, die wir der Gräfin beistehen, kämpfen für das Recht. Herr Staatsanwalt Dr. Müller hat gestern mit Emphase betont, daß es den Kampf ums Recht gelte. Aber die königliche Anklagebehörde hat nicht allein das Vorrecht, das Recht zu finden, gepachtet, auch wir nehmen es in Anspruch für uns. Das objektive Recht hier zu finden, wird Ihre Aufgabe sein. Die Art, wie der Kampf sich hier abgespielt hat, gibt ihm etwa Sensationelles. Soweit es sich darum handelte, ob die Nachgeburt im Topf nach Berlin gebracht worden ist, ob Schweineblut in Weinflaschen gefüllt worden ist, wird es nach Art eines Kolportageromans das Herz eines Dienstmädchens, das Ackerstraße vier Treppen wohnt, erfreuen. Das Sensationelle dieses Prozesses für uns Männer liegt in dem Prozessualen; es liegt in der Befürchtung, daß hier etwas nicht stimme. Weite Kreise haben hier diese Empfindung und man sagt sich: da müssen die Räder der Justiz nicht in Ordnung sein.

Sehen wir uns die Eigenart dieses Prozesses näher an. Hinter mir sitzt eine Frau, gegen deren Moralität niemand

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 1. Hermann Barsdorf, Berlin 1910, Seite 33. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_1_(1910).djvu/37&oldid=- (Version vom 1.8.2018)