Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 4 | |
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noch nicht gefunden worden. Ist es nicht möglich, daß das Mädchen, dem der Angeklagte den Korb geschenkt, einen Freier gefunden hat, der mit dem Mädchen in eine Weinstube gegangen ist und es aufgefordert hat, den Korb ins Wasser zu werfen. Es ist außerdem zu berücksichtigen, daß solche Körbe allein bei Wertheim in der Rosentalerstraße jährlich gegen 4000 verkauft werden. – Der Obermeister der Berliner Korbmacherinnung sagte: es kommen gerade bei Körben vielfach Verwechselungen vor. Eine Dame, die einen Korb zur Reparatur übergeben hat, bezeichnet bei der Abholung oftmals einen anderen Korb als den ihrigen. Der Verteidiger ging darauf des Näheren auf die einzelnen Zeugenaussagen ein und fuhr alsdann fort: Ein so mangelhaftes, schlechtes Zeugenmaterial ist mir in meiner langjährigen Verteidigertätigkeit noch nicht vorgekommen. Ich erinnere nur an die widersprechenden Angaben des Fräulein Röber, an den Droschkenkutscher Krüger und an die Aussagen der Kinder. Die Liebetruth sagte: Ich war von der Unschuld Bergers überzeugt. Als ich aber den Artikel in den Zeitungen las, da wurde ich stutzig. Die Presse hat ja bisweilen sehr heilsam gewirkt, sie hat aber auch schon bisweilen zur Verwirrung beigetragen. Es ist doch klar, wenn die Liebetruth geschrien hätte: Der Korb ist verschwunden, du hast einen ähnlichen Mord begangen wie der von Radatus, dann wäre Berger sofort verhaftet worden. Das wollte Berger vermeiden, deshalb tat er alles, um die Liebetruth zum Schweigen zu bringen. Die Heiratsgeschichte war im übrigen nicht neu. Über die sittliche Qualität des Angeklagten will ich nicht sprechen. Der Angeklagte ist sicherlich kein Mensch, der verdiente, in den Adelsstand erhoben zu werden. (Heiterkeit im Zuhörerraum.) Aber das muß ich sagen: Nachdem die Liebetruth 17 volle Jahre lang, also von Kindesbeinen an mit dem Angeklagten Leid und Freude geteilt hat, da hätte man erwarten sollen, daß sie weniger gehässig gegen ihn aufgetreten wäre, und daß sie nicht täglich mit ihrem jetzigen Zuhälter an Gerichtsstelle
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 4. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_4_(1911).djvu/74&oldid=- (Version vom 31.7.2018)