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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 5

daß das Brechzentrum von Vorstellungen leicht berührt werden kann. Ein eminent psychischer Choc und traumatische Erscheinungen haben dazu beigetragen, die Leiden zu steigern und einen Zustand zu schaffen, welcher die Heilung aufhält. – Bei der Angeklagten ist ein auffallender Mangel in den ethischen Funktionen vorhanden. Es ist erstaunlich, daß eine Dame ihres Standes und ihrer Erziehung sich fortwährend so roher Ausdrücke bedient hat. Es ist bei der Angeklagten ein so niedriger Grad von Intellekt vorhanden, wie er nicht gerade ihrem Stande entspricht. Ob der Mangel an Begabung schon an Schwachsinn grenzt, läßt sich so nicht beurteilen. Was die Frage anlangt, ob die Angeklagte boshaft ist, so muß ich zunächst eine auffallende Affekterregbarkeit feststellen. Die Hemmungen, welche bei normalen, wohlerzogenen Personen einzutreten pflegen, fehlen bei ihr. Festgestellt wurde in der Verhandlung eine Freude am Schaden anderer. Ich habe sehr wohl den Eindruck, daß die Angeklagte imstande war, einer anderen einen Possen zu spielen. Für ihren Mangel an Intelligenz spricht schon die Art ihrer Verteidigung: wenn eine Person, die unter so furchtbarer Anklage steht, sich so ungeschickt verteidigt. – Der zweite Sachverständige, Oberarzt im Kreis-Irrenhaus, Dr. Holterbach, stellte bei Fräulein v. Heusler auch einen geringen Grad von Intelligenz fest; dagegen fehle es an jedem Anhaltspunkt für die Annahme von Schwachsinn. – Landgerichtsarzt Medizinalrat Dr. Hoffmann: Er könne die Wagner weder für geisteskrank, noch für hysterisch, noch für trunksüchtig halten. – Die einzige Schuldfrage, die den Geschworenen vorgelegt wurde, lautete: „Ist die Angeklagte Elise von Heusler schuldig, am 20. Juli 1902 der Krankenpflegerin Wilhelmine Wagner vorsätzlich, um sie an ihrer Gesundheit zu schädigen, Gift beigebracht zu haben?“ – Es nahm alsdann am letzten Verhandlungstage das Wort Staatsanwalt Aull: Volle sieben Monate sind seit dem Tage der Vergiftung verflossen,

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 5. Hermann Barsdorf, Berlin 1912, Seite 202. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_5_(1912).djvu/206&oldid=- (Version vom 1.8.2018)