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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 5

und seitdem bis heute hat die Minna Wagner schwer zu leiden gehabt unter den Folgen der teuflischen Tat, die so freventlich in ihr Leben eingegriffen hat. Sie haben gehört, was die Wilhelmine Wagner für eine Person vordem gewesen ist: ein junges blühendes Mädchen, das den schweren Beruf der Krankenpflegerin gewählt hatte; ein Mädchen, das gespart und gesorgt hat für ihre alte, gichtbrüchige Mutter. Das Mädchen ist jetzt siech, und es liegt die Gefahr vor, daß sie dem Hungertode anheimfällt. Das arme Mädchen siecht nun seit sieben Monaten dahin, sie ist ohne Erwerb, den sie für ihre armen alten Eltern so nötig hätte. Der Täter ist nur im Stift zu suchen. Die Stiftsdamen können nicht in Betracht kommen. Welchen Beweggrund sollten die alten Damen auch haben, einem so fleißigen, willigen, so überaus beliebten Mädchen Salzsäure in den Kaffee zu schütten. In Frage können nur zwei Personen kommen: entweder hat die Wilhelmine Wagner die Salzsäure sich selbst in den Kaffee getan, oder die Stiftsvorsteherin Elise v. Heusler war die Täterin. Wir wollen uns beide Persönlichkeiten näher ansehen, um zu betrachten, ob einer von ihnen eine solche Tat zuzutrauen ist. Wilhelmine Wagner kam als 13jähriges Mädchen zu Frau Düreck nach München in den Dienst. In der vierjährigen Dienstzeit hat sie sich dort das Zeugnis eines sehr braven, anhänglichen, fleißigen, soliden Mädchens erworben. Und von dieser Dame, die ihr ein so vorzügliches Zeugnis ausgestellt hat, ist sie zu den Eheleuten Karl gekommen. Sie haben gehört, was Frau Karl über die Wilhelmine Wagner, von der wir bisher nur Gutes gehört haben, erzählt hat. Sie sagte: Die Wagner war boshaft, lügnerisch, unsittlich. Aber Frau Karl war nicht imstande, diese Behauptungen zu beweisen, nur allgemeine Verdächtigungen konnte sie vorbringen. Ich tue doch schon recht lange mit, aber ich muß sagen: Ein frivoleres Zeugnis, ein frivoleres Auftreten, wie das dieser Frau Karl, habe ich noch nie gesehen. Wort für Wort ihrer

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 5. Hermann Barsdorf, Berlin 1912, Seite 203. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_5_(1912).djvu/207&oldid=- (Version vom 1.8.2018)