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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 5

Aussage, behaupte ich, ist erlogen. Und darum habe ich Ihnen auch den Ehemann vorgeführt. Ich weiß nicht, welchen Eindruck dieser auf Sie, meine Herren Geschworenen, gemacht hat: auf mich den allerschlechtesten. Der Mann hat das Mädchen, das bisher in sittlicher Beziehung keinen Makel hatte, in gewöhnlichster Weise verleumdet. Ich habe darum die Wilhelmine Wagner Ihnen nochmals vorgeführt. Sie hat in offener, ehrlicher, einfacher Weise Auskunft gegeben. Und da sage ich: Der Ehemann Karl hat an dem 17jährigen Mädchen nichts weiter als einen ganz gemeinen Notzuchtsversuch unternommen. Von Karl kam die Wagner auf eine andere Stelle. Dort blieb sie ein Jahr, und wurde wieder als brav und gut geschildert. Glauben Sie, daß ein Mädchen, das vorher unsittlich war, so schnell sich wieder im Charakter ändert? Aus dieser Stelle entließ man sie ungern. Auch auf ihrer nächsten Stelle im Josephspital war man mit ihr zufrieden. Sie konnte dort nicht bleiben, weil sie selbst krank war, aber die Oberin empfahl sie weiter, und so kam sie ins Stift. Hier war sie auch bei allen bis auf eine beliebt. Ich glaube, das genügt. Wenn wir alles zusammennehmen, so müssen wir sagen: Minna Wagner war ein ruhiges, braves, solides Mädchen. Sie verdient, daß man ihr Glauben schenkt. Die andere Person, die in Frage kommt, ist die Elise von Heusler. Von deren Vergangenheit wissen wir nicht viel, es interessiert uns auch wenig. Wir wissen nur von ihr, daß sie vorher Haushälterin im adeligen Stift war und dort hinausgetan wurde wegen ihres bösen Mundes, wegen dessen sie in der ganzen Ludwigstraße bekannt war. Dann kam sie ins Maximilianstift. Dieses soll alten unversorgten Damen Versorgung gewähren, beitragen, deren Lebensabend zu verschönern. Als Zweck heißt es in den Statuten: es solle den Damen ein friedliches Dasein gewähren, und die Damen sollen die Pflicht haben, in friedlicher Nachsicht und christlicher Geduld dahinzuleben. Die Angeklagte hat alle anderen als die dafür geeigneten Eigenschaften

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 5. Hermann Barsdorf, Berlin 1912, Seite 204. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_5_(1912).djvu/208&oldid=- (Version vom 1.8.2018)