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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 5

liege kein Grund vor, an der geistigen Integrität der Wagner zu zweifeln. Ich bemerke, daß ich heute mein früheres Gutachten nicht im vollen Umfange aufrecht erhalten kann. Denn in dieser Verhandlung sind neue Tatsachen hervorgetreten, die mich nötigen, mein Gutachten an einzelnen Punkten zu ändern. Der Sachverständige ging alsdann auf die einzelnen Momente der Hysterie ein. Bezüglich des Erbrechens bestritt er, daß es simuliert oder hysterischen Ursprungs gewesen sei. – Es entspann sich eine längere Auseinandersetzung zwischen den Sachverständigen, in der die anderen Sachverständigen, entgegen dem Gutachten Dr. Hoffmanns, entschieden daran festhielten, daß die Wagner stark hysterisch gewesen sei. – Nach Verlesung derselben Schuldfrage wie in voriger Verhandlung wurde noch die Unterfrage zugefügt, ob ein Versuch vorliegt. – Es begannen darauf die Plaidoyers. Staatsanwalt Dr. Held I gelangte zu dem Ergebnis, daß die Anklage nicht aufrecht erhalten werden könne. Zwar habe sich ein Urteil als richtig erwiesen: die Angeklagte war jähzornig, rücksichtslos und gefühllos. Es lag also im Charakter der Angeklagten, ihr die Tat zuzutrauen. Indessen einige der gravierendsten Punkte des Indizienbeweises seien erschüttert. Namentlich sei erwiesen, daß die Wagner schwer hysterisch war. Wenn er (Staatsanwalt) nach alledem die Anklage auch nicht mehr aufrecht erhalten könne, so sei er andererseits doch nicht gerade von der Unschuld der Angeklagten überzeugt. Er stelle die Entscheidung den Geschworenen anheim. – Verteidiger Rechtsanwalt Dr. v. Pannwitz trat mit großer Entschiedenheit für die Freisprechung ein. Ganz besonders griff der Verteidiger die Gutachten an, die von den medizinischen Sachverständigen in der ersten Verhandlung erstattet worden seien. Diese haben in der Hauptsache die ungerechte Verurteilung der Angeklagten verursacht. – Die Angeklagte beteuerte nochmals unter Tränen, daß sie vollständig unschuldig sei. –

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 5. Hermann Barsdorf, Berlin 1912, Seite 222. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_5_(1912).djvu/226&oldid=- (Version vom 1.8.2018)