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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 6

Argument könne aber hier nicht in Betracht kommen, da man den Gewährsmann des „Vorwärts“ gar nicht kenne. Der Verteidiger kam zu dem Schluß, daß beide Angeklagte freizusprechen seien. – Vert. R.-A. Dr. Max Lewi ersuchte den Gerichtshof, ein freisprechendes Urteil zu sprechen, damit man nicht auf den Gedanken kommen könnte, es handle sich um einen Tendenzprozeß. Es sei wohl möglich, daß eine Hofintrige vorliege, jedenfalls haben die Redakteure des „Vorwärts“ in gutem Glauben gehandelt. Ihre Angriffe haben sich gegen die Hofkamarilla gerichtet, eine Majestätsbeleidigung habe dem Artikelschreiber fern gelegen. Er beantrage ebenfalls die Freisprechung beider Angeklagter. – Oberstaatsanwalt Dr. Isenbiel erwiderte: Trotz aller Beredsamkeit der Verteidiger sei es diesen nicht gelungen, den Beweis zu führen, daß sich die Angriffe nur gegen die Hofkamarilla und nicht gegen den Kaiser richten. Dem Vert. R.-A. Dr. Liebknecht müsse er erwidern, daß er (Oberstaatsanwalt) einen politischen oder Tendenzprozeß nicht kenne. Das Dilatorentum, von dem R.-A. Liebknecht sprach, treffe ganz besonders auf den „Vorwärts“ zu. Der „Vorwärts“ sei im vollsten Sinne des Wortes schon zur öffentlichen Beschwerdeinstanz geworden. Man beschwere sich jetzt nicht nur bei den behördlichen Instanzen, sondern bei dem „Vorwärts“, der jede Beschwerde und Verdächtigung von Behörden bereitwilligst aufnehme. Die Staatsanwälte werden oft genug mit Briefen bedacht, in denen ihnen gedroht werde, daß über sie bei dem „Vorwärts“ Beschwerde geführt werden würde. Am erstaunlichsten sei es, daß für den Angeklagten Kaliski der Schutz des § 193 in Anspruch genommen werde. Auf einen solchen Gedanken sei er noch nicht gekommen, sonst würde die Presse die angenehme und bequeme Aufgabe haben, einfach eine Behauptung aufzustellen und dann zu sagen, daß man in der Wahrnehmung berechtigter Interessen Aufklärung verlange. – In längerer Erwiderung kam R.-A. Dr. Liebknecht zu dem Schlusse,

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 6. Hermann Barsdorf, Berlin 1912, Seite 101. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_6_(1912).djvu/105&oldid=- (Version vom 31.7.2018)