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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 6

Reichskanzler, Fürsten v. Bismarck schoß, der Versuch unternommen wurde, diese ruchlose Tat den Katholiken, bezw. der deutschen Zentrumspartei an die Rockschöße zu hängen. Aber ebenso zu mißbilligen war es, daß man die Sozialdemokraten für die Verbrechen der Attentäter Hödel und Nobiling, die bekanntlich im Sommer 1878 auf den damals 81jährigen Kaiser Wilhelm I. geschossen haben, verantwortlich machte. Das war um so verwerflicher, da beide Attentäter mit der Sozialdemokratie keinerlei Beziehungen hatten. Nicht minder verwerflich war es, daß gewisse Elemente in Rußland für die Ermordung des russischen Ministerpräsidenten Stolypin im Theater zu Kiew durch den Polizeispitzel Bagarow, die Juden verantwortlich machen wollten, weil der Mörder zufällig jüdischer Abstammung war. Ohne das energische Auftreten des russischen Kaisers wäre aus Anlaß dieses Mordes ein Judenmassaker in Kiew und anderen russischen Städten wohl unausbleiblich gewesen. Es ist ein häßliches Zeichen der Zeit, daß selbst Gebildete die Entartungen Einzelner wohl nicht deren Familien entgelten lassen, aber geneigt sind, politische Parteien und religiöse Gemeinschaften für Verbrechen Einzelner verantwortlich zu machen. Selbstverständlich berührte es ungemein peinlich, als sich Anfang April 1905 vor der zweiten Strafkammer des Großherzoglichen Landgerichts zu Mainz der Wormser Dompropst Malzi wegen Sittlichkeitsverbrechens, vorsätzlicher Körperverletzung, in idealer Konkurrenz mit Nötigung, auf Grund der §§ 174 Abs. 1, 176 Abs. 3, 240 und 223 des Strafgesetzbuches verantworten mußte. Den Vorsitz des Gerichtshofes führte Landgerichtsdirektor Zimmermann. Die Großherzogliche Staatsanwaltschaft vertrat Oberstaatsanwalt Dr. Schmidt. Die Verteidigung hatte der Reichstagsabgeordnete, Justizrat Dr. Schmitt (Mainz) übernommen. Der Angeklagte, Dompropst Malzi, 1865 zu Darmstadt geboren, war eine stattliche, sympathische Erscheinung. Sein Äußeres und seine Haltung ließen auf den ersten Blick den hohen

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 6. Hermann Barsdorf, Berlin 1912, Seite 104. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_6_(1912).djvu/108&oldid=- (Version vom 1.8.2018)