Seite:Friedlaender-Interessante Kriminal-Prozesse-Band 7 (1912).djvu/57

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 7

allerdings ein sehr häßliches Wort ist, allein, so fuhr der Herr Reichsanwalt fort: „die Gerechtigkeit hat eine Binde.“ Ich bin jedoch der Meinung: die Binde, die die Gerechtigkeit tragen soll, ist nicht dahin zu verstehen, daß die Richter nicht Milde walten lassen dürfen. Ich bitte Sie, meine Herren Richter, sollten Sie zu einem Schuldig gelangen, dann ziehen Sie die Vergangenheit meines Klienten, sein hohes Alter, seine ganze gesellschaftliche Stellung in Betracht. Schicken Sie den Angeklagten nicht ins Zuchthaus. Darum bitte ich Sie in meinem eigenen Namen und im Namen der ganzen polnischen Nation. (Große Bewegung im Zuhörerraum.) – Oberreichsanwalt Dr. Freiherr v. Seckendorff: Obwohl ich der Überzeugung bin, daß die Ausführungen der Herren Verteidiger das Ergebnis der Beweisaufnahme in keiner Weise erschüttert haben, so habe ich doch noch einiges anzuführen. Ich will nun zunächst bemerken, daß laut Paragraph 92 des Strafgesetzbuches vor einer fremden Regierung alles geheim gehalten werden muß, von dem man weiß, daß die Geheimhaltung im Interesse des Deutschen Reiches geboten ist. Wenn also jemand nur in einer Privatgesellschaft etwas erzählt, von dem ihm bekannt ist, daß es einer fremden Regierung nicht mitgeteilt werden darf, durch seine Erzählung aber zur Übermittelung der Nachricht an eine fremde Regierung beiträgt, so macht er sich des Verbrechens des Landesverrats schuldig. Es ist also nicht nötig, direkt als sekret bezeichnete Dinge mitzuteilen, es genügt das Bewußtsein von dem sekreten Charakter der Mitteilung. Es ist vollständig gleichgültig, ob die Mitteilung aus amtlichen Quellen geschöpft ist. Es ist selbstverständlich, daß eine fremde Regierung die Arbeit nur dann bezahlt, wenn sie der Überzeugung ist, ihr Agent habe aus amtlichen Quellen geschöpft. Glaubt sie ihm das und bezahlt die Arbeit, die Dinge enthält, deren Geheimhaltung zum Wohle des Deutschen Reiches geboten war, so ist das Verbrechen des Landesverrats vollendet, selbst wenn der Betreffende nicht aus amtlichen

Empfohlene Zitierweise:
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 7. Hermann Barsdorf, Berlin 1912, Seite 53. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_7_(1912).djvu/57&oldid=- (Version vom 26.3.2023)