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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 7

bis er ein Geständnis ablege. Außerdem befahl dieser jugendliche Untersuchungsrichter, dem Knaben weder Speise noch Trank zu reichen. Der Knabe schlief vor Ermüdung schließlich ein, er wurde jedoch wiederholt in geradezu mörderischer Weise aus dem Schlafe geprügelt. Da aber selbst diese Folter keinen Erfolg hatte, so versuchte es das junge Ungeheuer, in Gestalt eines Referendars, in anderer Weise zum Ziele zu kommen. Er versprach dem Knaben: er werde nicht mehr geprügelt werden, dagegen gut und reichlich zu essen und zu trinken erhalten, und es werde außerdem in bester Weise für seine Zukunft gesorgt werden, wenn er sagen wolle, daß die Juden in der Synagoge zu Tisza-Eszlar die Esther Solymosi geschlachtet haben. Wenn er aber weiter leugne, dann werde er in einen Graben geworfen, in dem er elendiglich zugrunde gehen müsse. Dies Mittel half. Moritz Scharf gab zu: Er habe durchs Schlüsselloch der Synagoge gesehen, daß 15 Juden, zu denen auch sein Vater gehörte, die Esther Solymosi geschlachtet haben. Diese Aussage hielt Moritz Scharf, ein kleiner, unansehnlicher Knabe, auch in der von Anfang Mai bis Anfang Juli 1883 vor dem Kreisgericht zu Nyiregyhäza stattgefundenen Verhandlung vor dem Kreisgericht aufrecht. Schließlich wurde auf Antrag des Vertreters der Oberstaatsanwaltschaft, Oberstaatsanwalts-Substituts Szeyfferth (Budapest) und der Verteidiger beschlossen: eine örtliche Augenscheinnahme vorzunehmen. Sämtliche Prozeßbeteiligten fuhren mit den Angeklagten und Moritz Scharf nach Tisza-Eszlar. Moritz Scharf mußte in der Synagoge die Stelle angeben, auf der die Abschlachtung vollzogen worden sei. Er wurde alsdann hinausgeschickt, und es wurde an derselben Stelle das Abschlachten einer Puppe markiert. Moritz Scharf, der aufgefordert war, durch das Schlüsselloch zu sehen — die Synagogentür war in keiner Weise verändert — konnte nicht sagen, was in der Synagoge geschehen war. Nun überzeugte man sich, daß man durch das Schlüsselloch überhaupt

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 7. Hermann Barsdorf, Berlin 1912, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_7_(1912).djvu/74&oldid=- (Version vom 28.3.2023)