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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 8
Fürst Bismarck gegen den Universitätsprofessor Dr. Theodor Mommsen

bekannt wurde, daß die Staatsanwaltschaft beschlossen habe, gegen Professor Mommsen die Strafprozedur zu eröffnen, da ging ein Schrei der Entrüstung durch die Presse, daß man es wage, einen so berühmten und hochgelehrten Mann, die Zierde der Berliner Universität, auf die Anklagebank zu bringen. Sehr auffällig ist aber, daß dabei in der ganzen Presse kein Wort des Bedauerns darüber laut wurde, daß ein solcher Mann mit solchem europäischen Ruf, wie der Angeklagte, eine Rede halten konnte, die die Staatsanwaltschaft zwingen mußte, die gerichtliche Prozedur zu eröffnen. Diese Erscheinung deutet darauf hin, daß der Presse und ihren Vertretern in dem Parteihader und Parteigetriebe das Rechtsgefühl abhanden gekommen ist, daß sie auf der einen Seite ein übertriebenes nervöses Ehrgefühl behauptet und auf der anderen Seite kein Gefühl von der Rücksicht mehr hat, die man einem anderen Menschen schuldig ist. Wunderbar und bedauerlich muß es erscheinen, daß ein Mann wie Prof. Mommsen, der mehr als ein anderer über das ganze Handwerkszeug einer ruhigen und sachlichen Kritik gebietet, sich so weit vergessen konnte, eine solche Rede voll Maßlosigkeiten und einer großen Dürftigkeit des Inhalts zu halten. Wenn Professor Mommsen eine ganze ehrenwerte Partei mit dem Prädikat „eine Partei der Branntweinbrenner und Kornspekulanten“ belegt, so zeigt er damit sicher, daß auch er mehr, als es seinem Rufe förderlich ist, sich von dem Parteihader hat hinreißen lassen. – Was diese Rede im Speziellen betrifft, so ist gar kein Zweifel, daß sie im höchsten Maße beleidigend ist, es fragt sich nur, wer beleidigt ist. Minister v. Puttkamer hielt die Regierung für beleidigt, während der Angeklagte meint, es seien damit seine Kollegen, die die neue Wirtschaftspolitik vertreten, gemeint. Ich bin der Ansicht, daß Minister v. Puttkamer, wenn ihm der Wortlaut der Rede vorgelegen haben würde, ohne weiteres den Fürsten Reichskanzler als den Beleidigten bezeichnet hätte. Der Passus, daß diese Wirtschaftspolitik „eine Politik des Schwindels sei,

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 8. Hermann Barsdorf, Berlin 1913, Seite 30. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_8_(1913).djvu/34&oldid=- (Version vom 31.7.2018)