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Errungenschaften sind mächtige Förderungsmittel der Tugend und sind selbst Tugenden.

 8. In der Einhaltung der von Gott gesetzten Schranken wird die christliche Tugend zur Tugend des Maßhaltens (der σωφροσύνη). Jede Kraft, die sich nicht in den Schranken des Maßes hält, der die Zucht fehlt, geht ins Weite und wird zur Ohnmacht. Der Beruf und das Maß der Gabe, das richtig erkannt sein will, stecken dem Menschen Grenzen für sein Handeln. Die auf Grund richtiger Erkenntnis geschehende Anerkennung dieser von Gott gesetzten Grenzen und Schranken, innerhalb deren sich der Mensch mit Bewußtsein hält, ist die Tugend des Maßhaltens in allen Dingen, Röm. 12, 3 (ihr Gegenteil die Übertreibung, die Maßlosigkeit), die sich wie im Handeln, so auch im Reden und Thun erweist und von der wieder eine Seite die edle Bescheidenheit ist, ebenso die Anspruchslosigkeit, die Genügsamkeit, satis im Gegensatz zu nimis. Diese Tugenden setzen die Tugend der Selbsterkenntnis, Selbstbeschränkung, Selbstbeherrschung und Selbstverleugnung voraus.

 Dies die mancherlei Erweisungen der einen Tugend. Es läßt sich übrigens die erstgenannte Tugend, die Treue, den andern gegenüberstellen. Die angeführten andern Tugenden haben nämlich sie als Begleiterin nötig, ohne welche sie nicht vollendet werden können. Ohne Treue welken alle Blüten der Tugend.


4. Die Motive des tugendhaften Handelns.

 Ein mächtiges Motiv, eine starke Triebkraft hat die Tugend außer der dankbaren Liebe, die rückwärts schaut auf das Vergangene, in der verheißungsvollen Hoffnung, die vorwärts auf das Ziel schaut, das wesentlich nichts anderes ist als der Heilsgrund, nur mit dem Unterschied, daß am Zielpunkt nicht allein die Seligkeit, sondern auch die sittliche Vollendung liegt, ja noch mehr, ein Gnadenlohn, der sich übrigens schon in dieses zeitliche Leben herein erstreckt und nicht allein geistlicher, sondern auch leiblicher und irdischer Art ist und ein Wohlsein bringt, welches das künftige und ewige abspiegelt. Übrigens geht der Gnadenlohn über die Seligkeit und über die sittliche Vollendung hinaus und verheißt eine gottähnliche Herrlichkeit. Manche zweifeln, ob der Blick auf den künftigen Lohn ein reines ethisches Motiv sei; allein das kann man aus jedem Blatt der Bibel beweisen, das hieße Gottes Wort tadeln. Der Blick der Hoffnung eines schönen verheißenen Zieles macht strebsam und eifrig und die Form der