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Wiedergeborenen noch immer eine Macht. Die Eigenliebe, der Eigendünkel, der Eigensinn spielen noch immer eine große Rolle. Das ganze sündliche Wesen, das noch übrig ist und recht tief im Herzen sitzt, und im Geheimen und Verborgenen, dem Christen selbst unbewußt, seinen starken Einfluß geltend macht, ist Eigenleben, der Gegensatz von dem, was St. Paulus sagt: „Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebet in mir.“ Wird dieses Eigenleben nicht mit allem Fleiß ertötet, so gewinnt es gar bald das Übergewicht über das geistliche Leben und damit tritt die Herrschaft der Sünde wieder ein. In der Seele wuchern Hochmut, Stolz und Eitelkeit und es tritt eine verwirrende Unordnung und Verkehrung der sittlichen Weltordnung ein. Man stellt sich wieder über Gott und treibt Abgötterei mit sich selbst, gibt in allen Stücken nicht Gott, sondern sich die Ehre, verläßt sich auf seine eigene Weisheit, Kraft etc. und sinkt so immer mehr herunter von der Höhe des geistlichen Lebens. Man vernachlässigt die Sorge für seine Seele und deren Seligkeit, seinen himmlischen Beruf, und wird dann auch untreu in seinem irdischen Beruf, indem man ihn vernachlässigt, oder aber man setzt ihn über den himmlischen zum Schaden seiner Seele. Es tritt das Irdische in den Vordergrund, der irdische und fleischliche Sinn des Materialismus stellt sich ein, der auf Genuß und Erwerb allein aus ist. Das Wohlsein des Leibes wird dann Gegenstand des Strebens, die Üppigkeit, das Wohlleben, die Wollust stellen sich ein. Unzucht und Völlerei verunstalten und verunreinigen die Seele und werden nur allzuleicht zur Gewohnheit, zum Laster, der Bauch zum Gott. Oder aber es tritt der Geiz und die Habsucht in den Vordergrund, die sich zuweilen mit der Verschwendung paart und Ungerechtigkeiten aller Arten in ihrem Gefolge hat und Mißbrauch der zeitlichen Güter. Diese Untugenden und Laster verunstalten und beflecken den Menschen, seine Seele nimmt die Natur der Dinge an, an die sie sich hängt, den Schmutz der Erde, sie wird ähnlich den unreinen Tieren, tierisch oder wenn die falschen Bestrebungen mehr geistiger Art sind, wie Ehrgeiz, den Dämonen ähnlich.


§ 50.
Das Verhältnis zum Nächsten (zu den Brüdern, zur Gemeinschaft).

 1. Allgemeines. Der Mensch, wie er sich in das Verhältnis zu Gott und zu sich selbst gesetzt sieht, ist auch in die Gemeinschaft der