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gemeinsamen Grund des Glaubens und der Hoffnung steht; ferner dadurch, daß die beiderseits vorhandene Erfahrung der gleichen Geisteswirkung, die gleiche Lebens- und Willensrichtung in Christo auch die Herzen in Liebe zusammenneigt und das Gefühl der Einigkeit, ja der Einheit in Christo erzeugt. Wie schnell finden sich lebendige Christen, die sich ganz unbekannt sind, zusammen! Freilich finden sich auch infolge der Sünde und der von der Sünde durchdrungenen Verhältnisse starke und mächtige, ja in gewisser Beziehung unüberwindliche Antipathien zwischen lebendigen, zum Teil hervorragenden Gliedern Christi (Augustin und Hieronymus), was zu den traurigen Selbstwidersprüchen gehört, in denen der Christ hienieden mit sich und mit andren lebt, die aber alle im jenseitigen Leben schwinden und nichts wider die Wahrheit und Kraft der Liebe (1. Kor. 13, 7) beweisen. – Die Aufgabe der Liebe ist, den Nächsten (Bruder) und damit die Gemeinschaft zu erbauen, geistlich und leiblich zu fördern, wie umgekehrt jeder durch die Gemeinschaft gefördert und getragen wird und keiner für sich das werden kann, was er soll, ohne die Gemeinschaft. Die Erbauung und Förderung besteht aber hauptsächlich in dem guten Beispiel und Vorgang, bewußt und unbewußt, aber auch darin, daß man des anderen sich annimmt, auch in der Fürbitte. – Was der einzelne auf irgend einem Punkte im Sittlichen Bedeutendes leistet, wirkt wohlthätig stärkend auf das Ganze (Karl Roth, Schulreden). Die Fundamente, auf welchen das Wohl der Gemeinschaft ruht, sind Wahrheit, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. Diese göttlichen Eigenschaften sollen sich in der Gemeinschaft wiederspiegeln.

 2. Es handelt sich aber in den verschiedenen Beziehungen zum Nächsten:

 a. um seine Seele und um seinen himmlischen Beruf. Wer für seine eigne Seele sorgen gelernt hat, dem wird auch vor allen Dingen die Seele seines Nächsten, seines Bruders, aufliegen und ihr Seelenheil. Ein jeder soll des andern Seelsorger sein, aber in den gewiesenen Grenzen, nach der Gabe und Gelegenheit, die Gott gibt. Des irrenden, sündigenden, des irgendwie fehlenden Bruders soll man sich annehmen, Jak. 5, 19–20; 1. Joh. 5, 16–18; 1. Thess. 5, 14–15; Hebr. 12, 15, in rechter Liebe und Demut, nicht in hoffärtiger Selbstgerechtigkeit. Der Selbstgerechte hat weder Beruf noch Geschick zu solchem Liebeswerk, Luk. 6, 41–42. In gleicher Weise soll man sich aber auch annehmen des Schwachen (Röm. 14,1 – 15, 13),