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Die andre Ansicht findet hier das Verbot der gleichzeitigen Polygamie. An eigentliche Vielweiberei ist nicht zu denken, wenn es nicht etwa bei den Neubekehrten doch möglich gewesen ist, daß sie aus ihrer heidnischen Vergangenheit zwei oder noch mehr Frauen hatten. Andere verstehen unter der hier verbotenen Polygamie diejenige, welche durch schriftwidrige Scheidung und Wiederverheiratung entsteht. Bei der leichtfertigen Praxis des Heidentums in Ehesachen konnte es solche Bigamien häufig geben. Man könnte auch, wie Luther gethan, die Stelle in dem Sinn als Verbot jeglicher Polygamie verstehen, daß man jedes unerlaubte und unsittliche Verhältnis zu einer andern Person als zu seiner Ehefrau verboten findet. Der Sinn wäre dann, daß das eheliche Leben der Geistlichen ein unanstößiges sein soll. Man könnte aber dagegen sagen, daß das zu selbstverständlich sei, daß ein Geistlicher kein Ehebrecher sein soll, als daß der Apostel es hier noch habe verbieten wollen. Doch kann man darauf erwidern, es sei auch selbstverständlich, daß der Geistliche kein Weinsäufer, kein Schläger sein solle und doch verbietet dies der Apostel auch. Nur so ist dann die Forderung μιᾶς γυναικὸς ἄνδρα gleichartig mit v. 4, wo von dem Bischof auch nichts mehr gefordert wird, als von jedem christlichen Hausvater gefordert wird, nämlich daß man rücksichtlich seines Familienstandes, seiner Kinderzucht, seines häuslichen Lebens ihm nichts vorwerfen könne. Was die Auffassung der Stelle als eines Verbotes der successiven Polygamie anlangt, so entsteht gleich die Frage, warum dem Geistlichen verboten ist, was jedem andern Christen gestattet ist, und zwar nicht nur dem Manne, sondern auch den Frauen und Witwen, 1. Kor. 7, 8. 9. 39. 40; 1. Tim. 5, 14. Gegenüber dieser apostolischen Weisung wird es doch nicht ins Gewicht fallen, daß bei den Griechen und Römern es für rühmlich galt, wenn eine Frau nach dem Tod ihres Mannes im Witwenstande blieb. Warum sollte den Geistlichen verboten sein, was jedem andern Christen, ja jeder Christin, wenn sie Witwe geworden war, frei stand? Man könnte darauf erwidern: von den Geistlichen werde eben eine höhere Stufe sittlicher Vollkommenheit gefordert. Aber die Forderung, daß er kein Weinsäufer sein soll, daß er seinem Hause wohl vorstehe, ist doch nicht derart, daß dadurch eine höhere sittliche Vollkommenheit bezweckt würde, als sie von jedem christlichen Hausvater erreicht werden soll. Und was die Auslegung der alten Kirche anlangt, die allerdings diese Stelle als ein Verbot der sogenannten successiven Polygamie auffaßte, so