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Außerdem ist es die Zucht und die Keuschheit, die diesem Stand geboten ist, wie dem jungfräulichen, während die Wollust diesen Stand besonders schändet, 1. Tim. 5, 6. Daher sollen die jungen Witwen in der Regel heiraten, wenn sie können, 1. Tim. 5, 14. Ein sonderliches Vorbild gottseliger Witwenschaft ist Hanna, Luk. 2, 36. 37. Die gottseligen Witwen sollen zum Diakonissendienst verwendet werden, 1. Tim. 5, 9.

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 Was dem jungfräulichen Stande obliegt, ist sich selbst in Zucht zu nehmen, was das geschlechtliche Leben betrifft. Die Natur des Menschen ist sündig und verkehrt, und nichts ist durch den Sündenfall mehr in Unordnung und Verwirrung geraten als das geschlechtliche Leben. Zu der Zeit, da sich diese Seite der Natur entwickelt und zum Bewußtsein kommt, ist der Jüngling, das Mädchen unliebenswürdig, mutwillig und ausgelassen und von wegen des grünenden Fleisches in beständiger Versuchung. Das Geheimnis, das die Ehe umschließt und umschließen soll, reizt die Neugier der Jugend, und es entscheidet sich in diesen Jahren, welchen Weg der Mensch geht, ob er seinen fleischlichen Neigungen und Trieben sich hingibt, oder ob er lernt, mit Kraft des Geistes sich selbst zu beherrschen, oder mit andern Worten: keusch und züchtig zu leben (6. Gebot). Erst wenn dieser Kampf bis zur Entscheidung durchgekämpft ist, gibt es christliche Jünglinge, christliche Jungfrauen, denen der jungfräuliche Sinn dann als Tugend und Gnadengabe zufällt und welche die Herzensreinheit lieblich schmückt und ziert, denen sie aus den Augen und der ganzen Haltung herausleuchtet, 1. Tim. 5, 22; 2. Tim. 2, 22; Phil. 4, 8; 1. Tim. 4, 12; Gal. 5, 22. – Keusch ist, wer den eignen Leib und die eigne Seele vor böser Lust rein zu halten trachtet (Löhe, Randglosse zum 6. Gebot). Es ist kein Reinsein, sondern eine Lust an und ein Streben nach Reinheit, das keine Befleckung leiden mag. „Gott will vornehmlich das Herz rein haben“ (Luther), daß es nicht ein Tummelplatz unreiner Bilder und Leidenschaften sei, sondern mit göttlichen Gedanken und heiligen Bildern erfüllt. Das geht besonders die Phantasie an, die geheiligt werden muß. Was Luther von einem Altvater gelernt hat, der sagt: „Ich kann nicht wehren, daß mir ein Vogel über den Kopf fliegt, aber ich kann hindern, daß er mir ins Haar nistet oder die Nase abbeißt,“ das gibt das rechte Bild von der Herzensreinheit in diesem sündlichen Fleisch; „denn,“ fügt Luther hinzu, „also steht auch nicht in unsrer Macht, dieser oder jener