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Wohlgefallen aneinander (oder auch das Mißfallen) ist noch kein sittliches Verhältnis, das ist Natur, das haben im gewissen Sinn die Tiere auch, darum redet man z. B. von der Affenliebe, die Eltern zu ihren Kindern haben.

 Die natürliche Liebe muß sich oft verleugnen und ganz andre Formen, scheinbar selbst des Hasses, annehmen, wenn es das leibliche und geistliche Wohl der Familienglieder, namentlich der Kinder, gilt. Der strafende Ernst ist die verklärte elterliche Liebe und hat mehr sittlichen Wert als die bloße Zuneigung. Der Abneigung der einzelnen Glieder der Familie tritt das Gebot der Liebe gegenüber; und sie lernen auch das mit dem Willen lieben, was die Natur nicht liebenswürdig findet. Summa: es ist das Verhältnis der Familienglieder zu einander eine treffliche Übungsschule der selbstverleugnenden Liebe. Erst so bekommt die verwandtschaftliche Liebe sittlichen Wert und erscheint doppelt schön, wenn die Natur das Gewand der Tugend angezogen hat.

 3. Die christliche Familie.

 Eine Stufe höher als die sittlich veredelte Familie steht die christliche Familie. Hier wird die Natur nicht bloß zur Tugend, sondern durch übernatürlichen Einfluß der Gnade wiedergeboren, und wenn es gelingt, wird aus der natürlichen Verwandtschaft eine geistliche, Matth. 12, 46–50. Wenn die Familienglieder zugleich Gotteskinder sind, so sind sie unter sich geistliche Brüder und Schwestern (die Familie in Bethanien, die heilige Familie), und das natürliche Verhältnis, in das die Familienglieder von Gott zu einander gesetzt sind, wird geheiligt und verklärt; denn die leibliche Verwandtschaft hat zunächst nur eine zeitliche Bedeutung, erst die geistliche Verwandtschaft macht, daß die gläubigen Familienglieder alle im Himmel wieder zusammenkommen und ewig miteinander im seligen Leben verbunden bleiben. Es läßt sich kein schöneres Los denken, als wenn einer Familie das Glück zuteil wird, lauter oder wenigstens meist gläubige Familienglieder zu haben, während es umgekehrt sehr traurig ist, wenn das ewige Los, das einem bestimmt ist, die Familienglieder auseinanderreißt, die schönsten, zartesten Bande auf ewig trennt. Das vollkommene Glück einer im Glauben geeinten Familie liegt in der Ewigkeit. Aber auch hier ist schon das Glück groß, wenn in einer Familie Christus und sein Geist wohnt, wenn die Familienglieder einander in den wichtigsten Lebensfragen verstehen und einander auf dem Weg zum ewigen Leben fördern. Die