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Völkertrennung, der Zertrennung der bisher einheitlichen Menschenfamilie in Völker. Nur daß die Entstehung eines Volks noch nicht gleich ist mit Staatenbildung. Was das Volk zum Volk macht, das ist die Einheit der Sprache wie auch die gemeinsamer Gottesverehrung, Religion; das bestätigt auch die heilige Schrift. Denn nach der Anschauung der Offenbarung sind Sprachverwirrung, Entstehung der Völker, Polytheismus unzertrennbar verbundene Thatsachen, wenn auch der Polytheismus (vgl. Röm. 1, 21) nicht als notwendige Konsequenz aus den ersteren bezeichnet werden kann. Der Staat, genauer die Bildung eines solchen, ist das Ziel, dem ein Volkstum in natürlicher Entwicklung zustrebt.

 Die Ursprünge und Anfänge der Staatenbildung. Mit Ausnahme des einen, des erwählten Volks, liegen sowohl die Ursprünge der einzelnen Völker als auch die Anfänge ihrer Staatenbildung für uns im Dunkeln. Die Entstehung der übernatürlichen Gemeinschaft der Kirche, sowohl der Kirche überhaupt als auch der einzelnen Völkerkirchen im Besonderen, ist völlig in das Licht der Geschichte gerückt, aber wie die Völker entstanden sind, darüber verliert sich die Geschichte in das Dunkel des Mythus; es fehlen uns alle geschichtlichen Belege. Zwei Anschauungen stehen sich einander gegenüber, die vielleicht alle beide berechtigt sein werden, und zwar deshalb, weil der Hergang bei der Bildung des eines Volkes nicht notwendig derselbe sein muß wie bei der eines andern.

 Die naturgemäße Entwicklung, die wir freilich nicht durch ein Beispiel aus der Geschichte belegen können, wenn nicht etwa durch den Hinweis auf das Stammesleben Israels vor seiner Zusammenfassung in das Königreich, scheint die gewesen zu sein, daß eine einzelne Persönlichkeit, die in einer Familie, in einer erweiterten und weitverzweigten Familie, die Stellung eines allgemein verehrten Oberhaupts hatte, ihre Autorität über einen ganzen Stamm ausdehnte, vielleicht auch über mehrere Stämme, die dann allmählich sich zu einem einheitlichen Volk, zu einer staatlichen Ordnung zusammenthaten. Das ist die naturgemäße Genesis: Entwicklung des Staates aus der Familie, die sich zu Stämmen erweitert hat (Jakobs Familie erweitert zu 12 Stämmen: jeder Stamm hat einen „Stammesfürsten“, der den ganzen Stamm repräsentiert, und der abgesehen vom Recht der Geburt auch wohl durch Alter oder sonstiges Ansehen zum Oberhaupt eines ganzen Stammes befähigt ist). Diese Anschauung für die Bildung eines Staates nennt man die patriarchalische. Hier ist die Monarchie in ihren Wurzeln schon vorhanden in der Autorität des einzelnen. Das kann bei Bildung mancher Staaten der Hergang gewesen sein.