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 Nun zeigt uns aber die Geschichte, auch die heilige Schrift, daß die Bildung staatlicher Gemeinwesen nicht bloß auf diesem natürlichen, patriarchalischen Wege vor sich gegangen ist, sondern auch durch Verbrechen und Gewaltthaten, durch Usurpation. 1. Mosis 10, 10–18 ist für diese Anschauung die geschichtliche Grundlage. Nimrod legt den ersten Grund zur Weltstadt und zum Weltreich. Wenn er „ein großer Jäger“ war, so mag das im eigentlichen Sinn genommen werden; aber er war auch ein gewaltiger Menschenjäger, der die Menschen einfing und sie unter seine Botmäßigkeit zwang. Das deutet schon sein Name נִםְרֹד‎, d. i. rebellemus! Auch dieser Faktor wirkt mit bei der Bildung der Staaten: es warfen sich manche zu Despoten auf und hoben dadurch die ursprüngliche Gleichheit auf und teilten die Menschheit in zwei Klassen, die Befehlenden und Unterworfenen. Gegenüber der naturgemäßen Entstehung der Staaten ist dieser Ursprung ein mit Verbrechen und Gewaltthat behafteter; aber es läßt sich denken auf Grund dieser Erzählung und der Mythologie andrer Völker, daß dieser Weg bei der Staatenbildung auch eingeschlagen worden ist. Die römische Kirche hat sogar mit Vorliebe diese Entstehungsweise angenommen; denn es lag im Interesse der Hierarchie, die Legitimität des Staates zu bestreiten und damit die Anschauung festzuhalten, daß der Staat erst der Weihe der Kirche bedürfe. Diese aber wurde nicht gegeben ohne Unterwerfung des Staates unter die Kirche.

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 Abzuweisen ist die im rationalistischen Zeitalter herrschende Anschauung, welche die Gemeinschaft des Staates auf einen „gesellschaftlichen Vertrag“ unter den Menschen zurückführt; diese findet sich nicht nur nirgends begründet – es entspricht auch nicht der Wahrscheinlichkeit, daß die alten Völker aus Berechnung des Vorteils zu einem Volk zusammentraten. Es sind natürliche Bedürfnisse der Grund zu einer staatlichen Vereinigung; es bedurfte dazu keines Reflektierens. Die Selbstherrlichkeit und die Souveränitätssucht des Menschen allein verrät sich in dieser Anschauung; diese Seite des natürlichen Menschenwesens feiert darin ihren Triumph und vergöttert sich in ihr selbst. Es ist also ein widergöttlicher Standpunkt, von dem aus diese Theorie aufgestellt wurde, aber auch ein unnatürlicher, denn so entsteht die staatliche Gemeinschaft unter den Menschen nicht, wenn auch die Erwägung des Nutzens, welchen der Zusammenschluß zu einer Gemeinschaft bringt, für den Fortbestand eines Staates von Bedeutung ist. Diese Anschauung macht den Staat aber zu einer Assoziation, die der reine Nutzen diktiert. Es sind diametral entgegengesetzte Dinge: ein Gebilde, das da