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man eine Fertigkeit nur durch Übung und Übung ist oftmalige methodische Betreibung einer und derselben Handlung. Nach 1. Tim. 4, 8 unterscheidet man leibliche Übung (σωματικὴ γυμνασία) und Übung der Gottseligkeit (εὐσεβείας γυμνασία), die sogenannte praxis pietatis. Die erste ist Mittel für die letztere.

 b. Falsche Grundsätze, wodurch sich das an sich erlaubte Gute in das Gegenteil verkehrt.

 Ein solcher falscher Grundsatz, der uns häufig in der Geschichte begegnet, ist die Ertötung des Leibes und seiner Glieder. Der gröbste Mißverstand der Ertötung des Fleisches (mortificatio carnis, Röm. 8, 13; Kol. 3, 5; Gal. 5, 24; Matth. 18, 8. 9) ist, daß der Leib für gleichbedeutend gehalten wird mit „Fleisch“, während doch der Leib ein Geschöpf Gottes ist, das Fleisch aber das sündliche Verderben, das am Menschen haftet, besonders die Lust und Liebe zur Sünde, die zu töten die Aufgabe des Christen ist. Aus diesem gröblichen Mißverstand sind solche Verirrungen im christlichen Altertum (die von großem Ernst zeugen, aber doch zu beklagen sind) hervorgegangen, wie die Entmannung (castratio) des Origenes. Im allgemeinen ist die Ansicht, daß der Leib ertötet, wenn auch nicht bis zum Sterben, so doch aufs äußerste gequält und mißhandelt werden müßte, weil er der Sitz der Sünde sei. Der Leib ist zwar vorzugsweise Organ der Sünde in dem erneuerten Menschen, weil die Sünde aus dem Mittelpunkt, der Seele, in die Peripherie zurückgedrängt ist; aber ohne die Seele vermöchte die Sünde im Leibe nichts, Röm. 7, 23. Diese Ansicht vom Leiblichen, Sinnlichen als dem Sündlichen findet sich im Heidentum, das auch seine Asketen hat – man denke an den indischen Fakir –, war aber auch viel verbreitet im christlichen Altertum, im Mittelalter und besteht in der römischen Kirche noch heute. Was Wahres an der Sache ist, davon nachher. Hier nur so viel: der Leib ist nicht nur ein Geschöpf Gottes, sondern auch durch Christi Blut erlöst und durch den heiligen Geist geheiligt, ein Tempel des heiligen Geistes, dazu bestimmt, mit der Seele an der ewigen Herrlichkeit teilzunehmen; daher muß derselbe geachtet werden und bedarf der liebenden Pflege wie der vernünftigen Zucht, Röm. 13, 14; 1. Kor. 9, 27; Kol. 2, 23.

 Ein weiterer verwerflicher Grundsatz, der besonders in der römischen Kirche herrschend ist, ist die Verdienstlichkeit von dergleichen selbsterwähltem Gottesdienst, als könnte man dadurch Gottes