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ist das göttliche Gesetz und die göttlichen Weisungen auf dem Gebiet der christlichen Freiheit.

 Zu merken ist, daß der locus vom Kreuz und von der Hoffnung, sowie der von der christlichen Freiheit in den bekannten Bearbeitungen der Ethik nur vorübergehend oder auch gar nicht behandelt ist.

 Das alles bildet ein überreiches Material für die Ethik. Der ethische Stoff ist in seinen einzelnen Partieen auch trefflich von Alten und Neuen bearbeitet. Aber das alles gibt noch keine Wissenschaft der Ethik. Diese entsteht dadurch, daß der gesamte Stoff unter einen einheitlichen Gesichtspunkt gebracht und als ein vielgegliedertes Ganzes dargestellt wird. Es liegen Versuche der Art vor; aber es hat noch keine Darstellung eine allgemeine Zustimmung gefunden, so daß man daran irgendwie eine stehend gewordene Form hätte. Es kommt darauf an, den rechten, allgemeinsten Gesichtspunkt zu finden, oder das Prinzip, von dem aus sich alles natürlich und einfach ordnet und das durch das Ganze erkennbar, wie ein roter Faden, hindurchläuft. Nun kommt es aber auch darauf an, daß dieses Prinzip nicht zu formal und inhaltsleer ist, sondern möglichst den ganzen Inhalt des Darzustellenden in sich faßt.

 Am besten scheint sich dazu der biblische Begriff der Ebenbildlichkeit Gottes oder der Gottähnlichkeit des Menschen zu eignen.


§ 11.
Die Gottesebenbildlichkeit als Prinzip der christlichen Ethik.

 Bei aller positiven Wissenschaft, darum auch bei der Ethik, ist und bleibt der gegebene Inhalt und die Durcharbeitung des Einzelnen die Hauptsache. Dennoch ist es ein Bedürfnis der Wissenschaft, die gegebene Mannigfaltigkeit des Stoffes formell und materiell auf einen einheitlichen Gesichtspunkt, von dem aus man das Ganze und seine Teile und Gliederung bequem über schauen kann, zurückzuführen. In dem Sinne kann man auch bei positiven Wissenschaften von einem Prinzip reden, wenngleich dies anderer Natur ist als bei den aprioristischen Wissenschaften, bei welchen die ganze Fülle des mannigfaltigen Inhalts wirklich aus einem obersten Begriff oder Satz fließt, während hier für den gegebenen Stoff a posteriori der alles umfassende Begriff oder die Grundidee gesucht wird. Je weniger dieser Ausdruck bloß formal dienlich, je inhaltlicher er ist, je mehr er sich ungesucht wie ein roter Faden durch die ganze Darstellung durchzieht, desto gelungener ist seine