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Isolierung und gibt dem Leben und Streben des einzelnen Christen eine universelle, welthistorische Bedeutung. Der einzelne Christ versteht sich und wird verstanden nur als Glied der Kirche, als Bürger des Reiches Gottes. Deshalb kann man auch die ganze Ethik unter den Gesichtspunkt der Ausführung und Vollendung des Reiches Gottes bringen.

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 Das andere ist, daß das Streben nach dem Ziel der Vollendung für den Einzelnen und das Ganze in dem richtigen Verhältnis stehe zu dem, was der Christ bereits Vollendetes hat. Das Heil in Christo ist fertig, vollendet. Wenn der Mensch in der Glaubens- und Liebesgemeinschaft mit Gott steht, so hat er das höchste Gut, die Vergebung der Sünden, Leben und Seligkeit; so ist er fertig und reif für die Ewigkeit. Aber die ihm gelassene Gnadenzeit ist eine Aufforderung zur Arbeit an der eigenen Vollendung und an der Förderung des Reiches Gottes; denn der rechte Besitz des Heils verlangt nicht bloß Bewahrung desselben, sondern rechte Verwertung. Je größer die Receptivität für das innewohnende Göttliche wird, desto mehr wächst die Spontaneität. Es ist jedem Christen eine Laufbahn der Ehren eröffnet. Es ist ein göttlicher Wetteifer am Platz, um eine möglichst hohe Stufe der Heiligung und der Ehren zu erlangen. Deshalb ist der Lohn vorgehalten, der besondere Gnadenlohn. Zugleich aber muß dem Irrtum gründlich gewehrt werden, als ob von dieser oder jener Stufe der Heiligung die Seligkeit abhänge. Wer Christum hat und hält, kann auf jeder Stufe selig werden; er hat ja schon das höchste Gut. Jeder Christ aber braucht, auf welcher Stufe er stehe, Buße und Glauben; der hohe Apostel Paulus kann auf keinem anderen Wege selig werden als der Schächer. Darum muß die Lehre von der Rechtfertigung in einer evangelischen Ethik triumphieren, darf aber den Eifer in der Heiligung nicht abschwächen, sondern muß ihn mehren. Denn es gilt in der Gewißheit der Rechtfertigung immer mehr zu wachsen, das einmal Ergriffene immer fester zu ergreifen (Phil. 3, 12 etc.), auf daß reichlich dargereicht werde der Eingang in das ewige Leben (2. Petri 1, 10–11); dies ist abhängig von dem Wachstum in der Heiligung. Von der Heiligung hängt die Ehrenstellung im Reiche Gottes ab, es ist jeder Christ dazu verpflichtet, mit den ihm verliehenen Gaben und Kräften das Größtmöglichste zu leisten. Es ist ein schlechter und verwerflicher, schädlicher und gefährlicher Grundsatz, so zu leben, daß man nur eben die Seligkeit davon bringe. Zur reformatorischen Weitschaft muß der Ernst, nicht die Verirrung