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dieser Richtung nicht geleugnet wird, was selbst die Heiden anerkannten, daß alle Menschen eine Neigung zum Bösen haben; Ovid sagt: Nitimur in vetitum semper cupimusque negata: wir streben immer nach dem Verbotenen und begehren immer Verbotenes. Allein, wenn nach 1. Joh. 3, 4 alles, was dem Gesetz Gottes widerspricht, Sünde ist, so auch der gottwidrige Zustand. Und damit stimmt auch Eph. 2, 3. Diesen verderbten Zustand haben wir aber durch Geburt. Wenn die Rationalisten die allgemeine Neigung zum Bösen aus den überwiegenden bösen Beispielen erklären wollen, so ist zwar zuzugeben, daß die Tradition des Bösen (1. Petr. 1, 18) eine außerordentliche Macht ist, aber warum die Menschen im allgemeinen dem bösen Beispiel lieber folgen, als dem guten, und woher die „überwiegenden bösen Beispiele“ kommen, d. h. die Herrschaft des Bösen, das in der Welt ist, das ist damit nicht erklärt. Man wird schließlich auf diesem Weg dahingedrängt, daß man eine ursprüngliche Anlage zu dem Bösen in den Menschen setzt, also die Ursache der Sünde dem Schöpfer zuschreibt. (Eine Anlage zur Sünde ist selbst schon Sünde im Keim, wie die Anlage zu einer Krankheit die Krankheit selbst in ihren Anfängen ist.)

 Wie die Sünde zu allen Menschen durchgedrungen ist, so auch der Tod; Röm. 5, 12: „Wie durch einen Menschen die Sünde ist etc.“, der Tod ist aber die Strafe für die Sünde, Röm. 6, 23, und zwar nicht bloß der Sünde, welche Übertretung eines positiven Gebots ist, wie Adams Sünde war, sondern auch des sündigen Zustandes (die Kinder die frühzeitig sterben) und der daraus hervorgehenden Thatsünden vor der Gesetzgebung. „Der Tod herrschte von Adam bis Mose auch über die, die nicht gesündigt haben, mit gleicher Übertretung wie Adam“, Röm. 5, 14. Dies ist ein thatsächliches Zeugnis der göttlichen Gerechtigkeit wider die Sünde. Der Tod darf nicht als eine natürliche Erscheinung betrachtet werden, wie die Rationalisten thun, wiewohl eine Wahrheit in dem Satze ist, daß der Mensch von Natur sterblich ist; 1. Kor. 15, 45–47.


III.
Die dem gefallenen Menschen gebliebenen Kräfte und Reste des göttlichen Ebenbildes.

 Es handelt sich hier nicht um den substantiellen Teil des göttlichen Ebenbildes, sondern um den ethischen.

 Die Frage ist:

 1. Was ist an Kräften für das Göttliche noch übrig in dem gefallenen Menschen, oder was vermag er im Guten und was nicht? (de libero arbitrio).

 2. Wie steht es mit seinem Gewissen im gefallenen Zustande? (de conscientia).