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Akt. 22, 3. 4; 26, 9; Röm. 10, 2; Joh. 16, 2. 3; z. B. die Selbstpeinigungen bei den Indern, die Verbrennung ihrer Frauen beim Tode der Männer, die Blutrache der Morgenländer, die Verbrennung der Ketzer im Mittelalter, die Verweigerung des Kriegsdienstes bei den Mennoniten etc. Das Gewissen vollzieht seine sekundären Funktionen auch da, wo sich ein ungöttliches Gebot mit Gewissensautorität umkleidet hat. Man fühlt sich verpflichtet, auch wo man es nicht ist. Es ist eine Verblendung, welche selbst ihren Grund in der Sünde hat, Tit. 1, 15. Auch die verkehrte Willensneigung bringt den Wahrheitssinn von der rechten Richtung ab; der unlautere Wille macht sich Grundsätze, die zu seinen Wünschen passen und sucht – im letzten Grund freilich vergeblich – das Gewissen auf eine falsche Bahn zu leiten. Dies kann bewußt geschehen, in gewissem Maß auch unbewußt stattfinden. Man kann die Wahrheit in Ungerechtigkeit aufhalten (Röm. 1, 18. 21: „sie sind in ihrem Tichten – Gedanken – eitel geworden und ihr unverständiges Herz ist verfinstert“).

 Die verhältnismäßig unverfänglichste Form der Gewissenstrübung ist das schwache, enge oder ängstliche Gewissen. Das schwache Gewissen (s. Anm. 1) ist dasjenige, welches noch nicht die nötige Reife sittlichen Urteils besitzt, um die Grenze zwischen Verbotenem und Erlaubtem richtig zu bestimmen (1. Kor. 8; Kol. 2, 16; Röm. 14, 20. 21), welches sich Skrupeln macht, „sich ein Gewissen macht“ über Dinge, die nicht Sünde sind, sondern auf dem Gebiet der christlichen Freiheit, des Erlaubten, liegen. Man nennt es auch enges Gewissen, weil es das Gebiet des Erlaubten ohne Not einengt. Das enge Gewissen hält für verboten, was Gott erlaubt hat. Es ist die Karikatur des zarten Gewissens, welches mit einem feinen geistlichen Tastsinn begabt auch schon für die feineren Unterschiede zwischen gut und böse empfindlich ist, Phil. 1, 9. 10, auch schon bei leichteren Abweichungen von der Linie des sittlich Guten reagiert, 1. Sam. 24, 6; 2. Sam. 24, 10; Eph. 5, 15 (s. Anm. 2) ἀκριβῶς περιπατεῖν.

 Das Gegenteil des engen (wie des zarten) Gewissens ist das weite Gewissen. Weit ist dasjenige Gewissen, welches es mit der sittlichen Forderung nicht genau nimmt. Das weite Gewissen hält für erlaubt, was Gott verboten hat.

 Das irrende Gewissen hält für geboten, was Gott verboten